Biographien Rezensionen Diskutieren im versalia-Forum Das versalia.de-Rundschreiben abonnieren Service für Netzmeister Lesen im Archiv klassischer Werke Ihre kostenlose Netzbibliothek

 


Rezensionen


 
Edgar Cabanas - Das Glücksdiktat: Und wie es unser Leben beherrscht
Buchinformation

Selbst schuld! Selbst schuld? Die Glücksindustrie versucht uns seit Jahren einzureden, dass es an uns selbst liegt, wenn wir unglücklich sind. Selbstoptimierung ist gefragt! "Happycratie: comment l'industrie du bonheur a pris le controle de nos vies" hieß es 2018 im Original und zeigt wie die sog. "Positive Psychologie" unsere Arbeitswelt revolutionierte.

Die innere Zitadelle

Nicht nur Hollywood wolle uns einreden, dass wir selbst unseres Schicksals Schmid seien. Thatcher und Hayek waren die Speerspitze einer Ideologie, die den Triumph der persönlichen (therapeutischen, individualistischen, atomisierten) Gesellschaft über die kollektive Gesellschaft symbolisierten. In diesem postkapitalistischen Szenario sind wir alle nur mehr Individuen, die ihre besten Eigenschaften auf den Markt tragen. Am besten mit einem freundlichen Grinsen im Gesicht, das unser Glück zum Ausdruck bringt. Denn nicht die sozialen, gesellschaftlichen Umstände seien für unser Glück verantwortlich, sondern allein unsere Einstellung. Die Maslow'sche Motivationspyramide auf den Kopf gestellt. Die "Tyrannei des positiven Denkens" wurde unter dem Vorsitzenden der APA, Seligmann, zum Diktat über eine ganze Welt. Aber nicht jeder bekommt zu seinem Dienstantritt gleich einen Scheck über 1,5 Milliarden Dollar für eine Idee. Seligmann hingegen hatte es verstanden, eine vermeintlich ideologiefreies Glaubenskonzept unter Wirtschafts- und Gesellschaftsexperten zu bringen, das sich vor allem für die Unternehmen und weniger die Beschäftigten auszahlte. Die unaufhaltsame Ausdehnung der Wirtschaft auf alle Bereiche der Gesellschaft machte auch vor Gefühlen nicht Halt. Vermarktet werden in diesem neuen (letzten) Stadium des Kapitalismus nämlich Symbolisches und Immaterielles, Identitäten, Gefühle und Lebensstile, wie Illouz ausführt. Die große Politik sollte nun sukzessive durch therapeutische Politiken ersetzt werden. Wer nicht spurt, gehe zum Therapeuten.

Chief Happiness Officer (CHO)

Dass uns die sog. Positive Psychologie ein gutes Stück weiter Richtung "1984" brachte, zeigen etwa die Blüten einer Glücksministerin in Dubai oder sog. Chief Happiness Officers (CHO), die die Stimmung der Belegschaften aufheitern, um ihren Arbeitseifer zu steigern. Die Identifikation des Arbeitnehmers mit seinem Unternehmen sorgt für einen Produktivitätsschub und noch mehr Selbstausbeutung, zudem verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit immer mehr. Denn die jeweilige "Unternehmenskultur" suggeriert ja mehr Autonomie und Flexibilität. Mit Hilfe der Strategie Resilienz wurde nun in zynischer Absicht bis an die Grenzen ausgebeutet und so auf eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen (Gehaltserhöhung, Urlaub, etc.) verzichtet. Wem es nicht passt, der kann ja selbst Unternehmer werden. Es sei ja ohnehin eine "lohnenswerte Reise zu sich selbst", wie die christliche Hilfsorganisation HOPE - diesmal ganz ohne Zynismus - empfiehlt. Cabanas/Illouz zeigen in ihrem aufsehenerregenden Essay, wie die Sklaverei durch die Hintertür wieder eingeführt wird und "emotionale Selbststeuerung" zu einer neuen Disziplin erkoren wird. Daten werden über glücksversprechende Apps gesammelt, um so die letzten Reste von Subjektivität und Identität auszulöschen resp. zurechtzubürsten. Die "Rhetorik des Glücks" wurde zu einer tyrannischen Geisteshaltung, "die die Menschen für den Großteil ihres Glücks und ihrer Machtlosigkeit selbst verantwortlich machen". Aber in einer Welt, in der jeder für sein Leid selbst verantwortlich ist, wird bald kein Raum mehr für Mitleid und Mitgefühl sein, geben die Autoren zu bedenken.

Der Glücks-Terror hält uns am Ende davon ab, ein Zusammengehörigkeitsgefühl und Möglichkeiten kollektiven Handelns zu entwickeln, indem es die Individualität überbetont und jede Art kritischen Denkens oder Zweifeln stigmatisiert, so Cabanas/Illouz. "Nicht Glück, sondern Erkenntnis und Gerechtigkeit sind unverändert der revolutionäre moralische Sinn unseres Lebens". Ein bewegender Beitrag zu den bewegten Zeiten in denen wir leben.

Edgar Cabanas, Eva Illouz
Das Glücksdiktat
Und wie es unser Leben beherrscht
Aus dem Französischen von Michael Adrian
2018/2021, Klappenbroschur, 242 Seiten
ISBN: 978-3-518-46998-9
Suhrkamp Verlag
15.- €

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2023-07-15)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


-> Möchten Sie eine eigene Rezension veröffentlichen?

[ weitere Rezensionen : Übersicht ]

 

Anmelden
Benutzername

Passwort

Eingeloggt bleiben

Neu registrieren?
Passwort vergessen?

Neues aus dem Forum


Gedichte von Georg Trakl

Verweise
> Gedichtband Dunkelstunden
> Neue Gedichte: fahnenrost
> Kunstportal xarto.com
> New Eastern Europe
> Free Tibet
> Naturschutzbund





Das Fliegende Spaghettimonster

Ukraine | Anti-Literatur | Datenschutz | FAQ | Impressum | Rechtliches | Partnerseiten | Seite empfehlen | RSS

Systementwurf und -programmierung von zerovision.de

© 2001-2024 by Arne-Wigand Baganz

v_v3.53 erstellte diese Seite in 0.006670 sek.