Ausgehend von Michel Foucaults „Gebrauch der Lüste“ und der „Sorge um sich“, in denen es nicht mehr nur um „die Objektivierung des Subjekts durch Macht- und Herrschaftstechniken“, sondern vor allem um die Subjektmachung von einem selbst, will Mark Butler von drei weiteren Techniken unterschieden wissen: den Techniken der Produktion, den Zeichentechniken und den Macht- und Herrschaftstechniken. Im Gegensatz dazu dienen die Selbsttechniken der Stilisierung und der Steigerung des eigenen Lebens. Schon in der Antike gab es Praktiken, die unter dem Begriff Askesis zusammengefasst worden waren und darunter sowohl Meditationen als auch Gymnasia („Leibesübungen“) verstanden. Dieser Komplex der antiken Selbsttechniken, der sich mit psychosomatischen Wirkungslinien beschäftigte, wurde von Foucault rekonstruiert und umfasst sowohl Körper- als auch Psychotechniken, „die sich in der Aufforderung treffen, Sorge um sich zu tragen“, so Butler. The flamboyant triumph of virility
Die alte philosophische „Frage nach dem guten Leben“ beinhaltete aber auch Selbstbeherrschung und Maßhaltung (Sophrosyne) und dienten auch dazu, sich einem öffentlichem Amt als würdig zu erweisen: Nur wer über sich herrsche, und nicht Sklave seiner Leidenschaften sei, könne auch über andere herrschen, wie schon Platon andeutete. Auch heute in der Moderne oder der Post- würden Autonomie, Identität und Authentizität die Individualität ausmachen und charakterisieren. Eine allgemein vermutete „Fragilität der Lebensentwürfe“ führe aber zu einem Leben im Konditional, also nicht zu einem „guten“ Leben, sondern einem Leben des „als ob“. Identität werde konstruiert, das Nicht-mehr-derselbe-Bleiben als Überlebenschance für das Subjekt postuliert und sei den Wechseln der Regime „der politischen Ideologien, der Jobs, der sexuellen Orientierungen und der privaten Lebensformen und ihrer Krisen unterworfen“. Die Forderung nach einem Leben im „Hier und Jetzt“ der Punkbewegung wurde vom postfordistischen Regimewechsel des Kapitalismus instrumentalisiert und führte zur Wegwerfgesellschaft mit ihren austauschbaren hybriden prêt à porter Identitäten. Alles verkommt zum Symbol und wird austauschbar, nichts steht mehr für etwas, keine Form für keine Inhalt. Die neurologische Revolution als Bricolage
Der spielerische Umgang mit sich und der eigenen Biographie ist nun nicht mehr nur in der Welt der Popkultur ein zentrales Element, sondern besonders auch im Hip Hop, eine der erfolgreichsten Sparten der globalen Popkultur, so Butler. Das „Selbst“ wird zum „Projekt“, das gestaltbar ist, modellierbar, ganz so wie die Wirklichkeit. Aber anders als in der antiken Metamorphose werde das „Morphing des Leibes“ zur Ersatzhandlung für eine wirkliche Metamorphose des Geistes und der Seele. Das Individuum werde auf seinen Körper reduziert, der im Gegenzug optimiert werden müsse, um die für das Überleben notwendige Anerkennung des Individuums zu sichern. Die mögliche Verwandlung des Selbst werde dem Individuum von den Medien als käuflich suggeriert: „der unterwerfende Zugriff auf den Körper dient als letzte Bastion vor dem Zerfall des Selbst“. Der Körper kann demnach auf drei Arten gebraucht werden: als Medium der Selbstformung, Selbstsorge und Selbsterfahrung. Die drei Modalitäten des Körpergebrauchs werden im Zeitalter der neurologischen Revolution von chemischen oder körpereigenen Transmittern optimiert, Virtualität beschreibt was möglich, aber nicht notwendig ist. In allen Techniken des Selbst finden sich Züge des Spiels und diese will das vorliegende Buch erläutern und nachvollziehbar machen. Mark Butler fördert überraschende Details zutage, etwa wenn er die antike Selbstsorge mit einem Zitat auf krumpkings über Tiny Slaughters in Zusammenhang stellt: „His unbending will to better himself as a person has caused him to calm one of the biggest beasts around; himself“. Gibt es eine andere noch ehrenvollere Aufgabe? Nein!
Mark Butler
Das Spiel mit sich
(Kink, Drugs & Hip-Hop). Populäre Techniken des Selbst zu Beginn des 21. Jahrhunderts
Kulturverlag Kadmos, Berlin
582 Seiten
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2014-08-07)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.