Seit den Achtziger Jahren gibt es gewissermaßen einen Paradigmenwechsel in der Indianerforschung, wie die New Indian History genannte Forschungsrichtung sich inzwischen in den USA nennt. Vier Hauptziele sollen darin verfolgt werden: die aktive Rolle indianischer Gruppen hervorgehoben werden, wie indianische Gruppen die Konkurrenz zwischen verschiedenen europäischen Nationen für sich nutzen konnten, die Rolle indigener Frauen und ihrer sozialen Stellung soll näher untersucht werden, die gegenseitige Perzeption, aber vor allem das Indianerbild von Euroamerikanern soll miteinbezogen werden und schließlich wird auch Überblick über die gesamte indianische Geschichte gegeben. Nach all diesen vier Elementen ist auch die vorliegende Lektüre ausgerichtet, die zugleich den aktuellen Forschungsstand auf dem Gebiet wiedergibt.
Amerikaner vs. Euroamerikaner
Schätzungsweise 90% der Ureinwohner Nordamerikas wurden allein durch die Krankheiten Masern, Mumps, Scharlach, Keuchhusten, Pocken, Diphterie und Cholera sowie durch Gelbfieber ausgerottet. Den Rest besorgte der weiße Mann, könnte man hier zynisch anfügen, wären die Tatsachen nicht so erschütternd, dass man alles andere als Humor dafür erübrigen kann. Wissenschaftler streiten heute eigentlich nur mehr, ob man den Begriff Genozid oder Ethnozid anwenden sollte, für das was den indigenen Völkern Nordamerikas durch den weißen Mann zugestoßen ist. Den feinen Unterschied macht die Intention und die war wohl nicht immer gegeben. Auch unterscheiden sich sowohl die Weißen als auch die Indianer in sich sehr untereinander. Denn die Franzosen hatten mit den „Indianern“ etwa anderes im Sinn als die Briten oder eben die frisch gebackenen Amerikaner. Gerade der amerikanische Unabhängigkeitskrieg war eine scharfe Zäsur für die indigenen Völker Nordamerikas, denn ihre Lage verschlimmerte sich noch, als die „Amerikaner“ das Land übernahmen. Hatten die Briten unter ihrem König George III. noch durchaus Gebietsansprüche der Indianer vertraglich zugesichert, gab es ab der Lossagung der zunächst nur 13 unabhängigen Staaten vom britischen Kolonialreich indirekt alle Zusicherungen an die ursprünglichen Besitzer des Landes quasi für nichtig erklärt.
Trail of Tears
1770 standen bereits 1,75 Millionen Euroamerikaner und 450.000 Afrikaner 100.000 Indigenen gegenüber. 1790 waren es bereits vier Millionen gegenüber 200.000. Selbst die Gebietserweiterungen durch den Louisiana-Purchase 1803 konnten den Landhunger des weißen Mannes nicht stillen. Die Umsiedelungspolitik der amerikanischen Regierung bei der die Indigenen zunächst im Indian Territory (Oklahoma) und später in ca. 300 Reservaten „konzentriert“ wurden hatte nichts anderes im Sinn, als die Indianer, die sich nicht „amerikanisieren“ lassen wollten in wüstenähnlichen Landschaften verhungern zu lassen. Das war vielleicht nicht die Intention, sehr wohl aber die Praxis der umsiedelnden Behörden nach den sog. Indianerkriegen des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Ein weiteres trauriges Kapitel ist die Terminations- und Assimilationspolitik gegenüber minderjährigen Indigenen, die in sog. Boarding Schools „erzogen“ wurden: ihre eigene Kultur, Sprache und Identität wurde ihnen dort ausgetrieben. Dennoch zeichnet die Autorin Heike Bungert auch ein Bild der Verbesserungen, die vor allem nach FDR-Präsidentschaft einsetzte und das indianische Selbstbewusstsein und ihren Widerstand wieder anwachsen ließ. Heike Bungert ist eine der führenden deutschen Forscherinnen zum Thema. Das Buch ist mit Karten und einigen Fotos ausgestattet und im Anhang befindet sich auch eine Bibliographie zum Thema für weitere Forschungen.
Heike Bungert
Die Indianer. Die Geschichte der indigenen Nationen in den USA
2. Auflage, 2020, 286 Seiten, mit 12 Abbildungen und 2 Karten
Softcover. Bibliografische Reihen
ISBN: 978-3-406-75836-2
C.H.Beck Paperback
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2021-02-22)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.