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Michail Bulgakow - Meister und Margarita
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Bulgakow, Michail:
Meister und Margarita

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(Bücher frei Haus)

„Doch es kommt eine Zeit, in der es keine Macht geben wird, keine Caesaren oder sonstigen Herrscher. Und der Mensch tritt ein in das Reich der Gerechtigkeit und der Wahrheit, das aller Gewalt entbehrt.“, sagt frank und frei Jeschua zu Pontius Pilatus und stellt damit nicht nur das Römische Imperium in Frage, sondern wohl auch alle Herrschaft an sich. Die Biographie des Pilatus ist die eine Geschichte, die von Bulgakow als „Roman im Roman“ erzählt wird und darin verwendet er nicht nur die alten gräzisierten oder hebräischen Formen, sondern weist auch immer wieder darauf hin, in welchen Sprachen damals gesprochen wurde: neben Latein natürlich auch in Griechisch, aber vor allem Aramäisch. „Golgatha“ (aramäisch) wird nicht „Ort der Stirn“ (russisch: lobnoe mesto) genannt, sondern als Begriff der slawischen Folklore: Kahler Berg („Lysaja Gora“), der berüchtigte Treffpunkt der Hexen, der im Westen durch Modest Mussorgskis „Noc’ na Lysoj Gore“ bekannt wurde. Bulgakow sorge mit einem modernistischen Kunstgriff für die Überlagerung zweier mythischen Welten – so der Übersetzer Alexander Nitzberg – und schafft nicht nur damit ein Werk, das unvergleichbar in der russischen und globalen Literaturgeschichte ist: „Meister und Margarita“, das nun in einer neuen Übersetzung des in Wien lebenden Nitzberg bei Galiani Berlin in einer gebundenen und kommentierten sowie bebilderten Ausgabe vorgelegt wird.

Sympathy for the Devil
Drei Männer begegnen sich in einem Moskauer Park und philosophieren über die Gottesbeweise Kants. Ein Ausländer, ein Dichter und der Dritte, ein Redakteur und Vorstandvorsitzender der größten Moskauer Autorenvereinigung, palavern über Gott und die Welt. Letzterer wird nach dem Gespräch über Kant von einer Tramway geköpft werden, ersterer wird ihm dies alles detailreich in ihrem Gespräch vorhersagen. Ist dies der sechste Gottesbeweis, dass es dann wirklich geschieht? Eigentlich gibt es derer ja nur fünf: den kosmologischen, den teleologischen, den ontologischen, den moralischen, den historischen. Der Schauplatz des Gespräches, der zum Ausgangspunkt eines der berühmtesten russischen Romane der Moderne wird, sind die Moskauer Patriarchenteiche, die wie der Name schon andeutet, einst dem Patriarchen, also der russischen Kirche, gehörten. Aber der Roman wurde eine Dekade nach der Revolution geschrieben und spielt auch ungefähr in dieser Zeit. „Ziegensumpf“ war der volkstümliche Name der Teiche, was auf russisch einigermaßen dämonisch klingt, wie auch der Übersetzer Alexander Nitzberg anklingen lässt: „Koz’e boloto“. Und wer bei Ziege nicht gleich an den Bocksfüßigen denkt, der wird spätestens nach dem ersten Kapitel merken, dass es in diesem fantastisch-realistischen Roman nicht immer mit rechten Dingen zugeht und kein Geringerer als der Teufel seine Hände im Spiel hat. „I was around when Jesus Christ had his moment of doubt and pain/Made damn sure that Pilate washed his hands and sealed his fate“, sangen die Stones und weiter: „I stuck around St. Petersburg, when I saw it was a time for a change…” Nun, bei Bulgakow kommt der Teufel bis Moskau und zettelt zwar keine Revolution, aber doch ein ziemliches Chaos an.

Eng Dö Trua
Berlioz, der spätere Geköpfte, würde Immanuel Kant jedenfalls am liebsten nach Sibirien schicken, denn seine Überlegungen könnten ohnehin nur Knechten genügen, wie schon Friedrich Schiller wusste. Auch der Ausländer, der sich vorerst nur als „Professor W“ zu erkennen gibt, scheint entweder Deutscher zu sein oder zumindest die deutsche Literatur zu kennen, denn er ist tatsächlich Teil jener Kraft, die „stets das Böse will und doch das Gute schafft“ (Faust/Goethe). Die Titelgebenden Gestalten kommen aber noch lange nicht vor, denn sie sind eigentlich nur Randfiguren in der Handlung des Romans, obwohl sich doch alles um sie dreht, denn sie sind die wirklich Liebenden, die von allen beneidet werden. Natürlich ist auch der Meister ein Schriftsteller oder zumindest der Verfasser einer Biographie, nämlich genau der des oben bereits angesprochenen Pontius Pilatus. Doch das Buch fällt bei der Literaturkritik und Verlagen durch und wird so nie veröffentlicht. Bis eben dieser „W“ auftaucht, der der Liebe zu ihrem Gedeihen verhilft, obwohl „M“ (Meister) doch genau sein Gegenteil repräsentiert. Erst im Zweiten Teil taucht dann endlich auch Margarita auf, der Leser spürt es schon im ersten Satz: „Wer hat dir erzählt, es gebe auf der Welt keine echte, wahrhafte, ewige Liebe? Möge dem Lügner seine schändliche Zunge abgetrennt werden!“ Ist es also allein dem Charme dieser Margarita zu verdanken, dass Woland (Professor W) mit Hilfe seiner Kumpanen, dem Kater Behemoth, dem wienernden Korowjew, Azazello und der Dienerin Gella, der Liebe zu ihrem Durchbruch verhilft, auch wenn er die Liebenden dann – wie bei Tristan und Isolde – zunächst Gift trinken lässt? Zuerst muss aber ohnehin die große Séance im Varieté gut über die Bühne gebracht werden und als Behemoth „eng dö trua“ (gemeint: un deux trois) einem Theaterkritiker den Kopf erst abreißt und dann wieder aufschraubt, scheint die Vorstellung des großen Magiers dann doch etwas aus dem Ruder zu laufen…

Schön am Teppich bleiben
„Und Sie bleiben auch ganz bestimmt auf dem Teppich?“ Neben den Patriarchenteichen und einem Theater spielt der vorliegende russische Jahrhundertroman des fantastischen Realismus auch in der Wohnung des verunglückten Berlioz, Nr. 302 Block B Wohnung 50, und einer Irrenanstalt. Denn der Dichter Iwan, Zeuge, Mitbewohner und Gesprächspartner des Verunglückten, will „Satan persönlich“ gleich einfangen, doch niemand glaubt ihm. Weder die Miliz noch sonst ein Ordnungshüter, stattdessen werden gutgläubige Menschen wie Iwan, sogar noch verspottet, verhöhnt und eingeliefert. „Ein Jammer – Männer die weder trinken noch spielen! Die Gesellschaft reizender Damen meiden! Ergötzliche Tafelgespräche missbilligen! Die waren mir immer reichlich suspekt. Solche Leute sind entweder schwer krank oder hassen im Stillen ihren Nächsten.“, so der Hausbesorger besagter Wohnung, aber es soll ja auch Ausnahmen geben. Das närrische Treiben der Terriblen 5, die sich in die Wohnung von Berlioz und Iwan einquartierten, nimmt bald immer schlimmere Ausmaße an, da niemand es vermag, ihnen Einhalt zu gebieten, denn in der Gartenstrasse Nr. 50 ist niemand, obwohl deutlich Lärm aus der Wohnung zu vernehmen ist und sich mittags ein schwarzer Kater im Fensterbrett sonnt. Auch Flugsalbe kommt in diesem Roman zum Einsatz und verhilft Margarita zu einer späten Rache an den Literaturkritikern, die des Meisters Roman nicht akzeptieren wollten und schließlich hilft ihr Korowjew auch ihren Meister mit der Salbe auf einem Satansball wieder zu finden. Die Beschreibung dieses Balles ähnelt einer Achterbahnfahrt auf LSD und gehört wohl zu dem verwirrendsten Stück der russischen Literaturgeschichte. Der arme Übersetzer hatte damit wohl auch seine liebe Not, da er immerhin fünf verschiedene Manuskripte bearbeitete und das letzte von seinem Autor nicht mehr fertig redigiert und lektoriert werden konnte, da er währenddessen leider verstarb.

Idyllische Isolation
„Nun gut, der Liebende hat das Geschick des Geliebten mitzutragen“, heißt es am Ende der Schleife, in der Margarita und der Meister sich finden und die 5 nicht gefasst werden können. Ist es das, was Bulgakow als zentrale Message verstanden haben will? Schließlich lässt er den Meister sich von Margarita trennen, weil er nicht will, dass diese mit ihm untergehe. Er verzichtet auf sein Glück, damit sie glücklich wird. Die „idyllische Isolation“, die er sich selbst auferlegt benutzt er aber weder für das Schaffen oder Fertigstellen seiner Biographie, sondern mit der Flucht vor ihr, Margarita. Unschlüssig ist man auch über ihre Liebe, da sie sich an einer Stelle in einen x-beliebigen Flaneur verlieben könnte, doch behauptet, ihren reichen Mann wegen dem Meister verlassen zu wollen. Ist es nur eine Laune? Will sie sich nur etwas Abwechslung gönnen, wie Nitzberg im Nachwort schreibt? Bulgakow selbst war in Isolation geraten, da er nach seiner verwehrten Ausreise aus der Sowjet in einem Land leben musste, indem seine Bücher nicht mehr veröffentlicht wurden. Idyllisch war diese Isolation ganz bestimmt nicht, denn er verstarb 1940, während des Lektorierens an genau dem Werk, das ihn posthum zu einem der berühmtesten Vertreter der modernen russischen Literatur machen sollte. Elf Jahre (1929-1940) hatte er daran gearbeitet, und mit sprachlichen Mitteln die Normalität durchbohrt. Ungewöhnliche Formulierungen, das Durchbrechen literarischer Schablonen und sein Idiom der russischen Moderne mit dem er die Temperatur der Sprache erhöhe, würden Bulgakows Prosa auszeichnen, so Nitzberg. Der Roman erschien erstmals erst 26 (!) Jahre nach dem Tod seines Autors. Hatte dabei gar ein gewisser Professor W die Hand im Spiel? „But what’s puzzling you, is the nature of my game?“ Isn’t it?

Michail Bulgakow
Meister und Margarita
Neuübersetzung von Alexander Nitzberg
Galiani Verlag Berlin
604 Seiten mit einem Nachwort von Felicitas Hoppe
und Kommentaren des Übersetzers

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2012-11-03)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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