Charles Bukowski - Dante Baby, das Inferno ist da! 94 unzensierte Gedichte
Buchinformation
„Neulich war ich bei meinem Zahnarzt/und habe in einer dieser Medizinzeitschriften/gelesen, dass man nur/bis zum Jahre 2020 a.D. durchhalten muss.“, schreibt Bukowski in einem Brief an seinen Freund Carl, bei dem der Haussegen schiefhängt (sein deutscher Übersetzer Carl Weissner). Nun haben wir bereits 2021 und Bukowski würde seinen 101. Geburtstag feiern, aber er hat leider nicht durchgehalten. 1994 erlag er im Alter von 74 Jahren seinen Gebrechen. Der Versuch seinen Freund Carl durch eine Distopie von „Gehirnen in fleischlosen Körpern“ von seinem Liebeskummer zu befreien ist ihm aber wohl für die Dauer des fünfseitigen Gedichtes gelungen. Und genau dafür taugen die Gedichte Bukowskis Gedichte immer noch: für Trost.
Viel Lebensfreude und Überlebenstipps
Wer das nicht glaubt, der lese etwa sein mit „Finger“ betiteltes Gedicht, das Bukowski einmal von einer anderen Seite zeigt: es musste nicht immer Alkohol sein. Der bekennende Alkoholiker kam auch anders auf Touren, meistens in dem er sich vor sein Maschinengewehr (Schreibmaschine) setzte und darauf einhämmerte. So entstand nicht nur seine Prosa, sondern auch seine Gedichte, insgesamt mehr als 40 Bücher sogar. Viele Gedichte handeln von der bloßen Freude am Leben, etwa in „Texsun“, wo er ganz einfach seine neue texanische Freundin beschreibt, die ihm einen Grapefruitsaft gleichen Namens empfiehlt. Sein ganzer Stolz richtet sich auf diese neue Eroberung, aber er freut sich des Augenblickes, denn er weiß natürlich, dass er sie nicht besitzen kann. Jedoch in diesem einen Moment, wo sie ihm den Saft hinhält ist er so glücklich, dass er es in dieses Gedicht fassen musste. Denn genau das sind doch Gedichte: flüchtige Momente des Glücks, die festgehalten werden müssen, bevor sie sich wieder verflüchtigen. Selbst wenn es nur um die Freude geht, dass die do-it-yourself Autowaschanlage nur 25 Cent kostet („Venice, Kalif. Nov. 1977“). Der Meister des Minimalismus wird zu Unrecht als sittenwidriger Provokateur verunglimpft. Wer seine Texte obszön findet sollte vielleicht einmal eine Zahnarztpraxis besuchen und die dort herumliegenden Medizinzeitschriften lesen.
Minimalistischer Meister der Miniaturen
In den USA wurden posthum viele von Bukowskis Gedichten entschärft, zensiert, verstümmelt, wohl, um ihnen den (obszönen) Stachel zu nehmen. Nicht so bei dieser Ausgabe des Maro Verlages, der 94 unzensierte Gedichte enthält, die entweder noch unbekannt sind oder einst in kleinen Underground-Zeitschriften erschienen. Die 94 Gedichte stammen aus der Zeit zwischen 1959 und 1994, dem Todesjahr des Poeten. Mehr als 20 davon sind unveröffentlichte. Die Quellen dazu hat der „Sherlock Holmes der Bukowski-Forschung“ im Anhang des vorliegenden Bandes dokumentiert. Abel Debritto, der seine Doktorarbeit über Bukowski verfasste, reiste kreuz und quer durch die USA, um die damaligen Herausgeber der Undergroundzeitschriften aufzuspüren. Manuskripte, Zeichnungen, Briefe und mehr – lagen bei Kindern oder Enkeln von ganz frühen Zeitschriftenverlegern auf dem Dachboden oder im Keller. Abel Debritto katalogisierte sorgsam jedes Zettelchen.
Charles Bukowski
Dante Baby, das Inferno ist da! 94 unzensierte Gedichte
Aus dem amerikanischen Englisch von Esther Ghionda-Breger
Übersetzt von Esther Ghionda-Breger
Herausgeber: Abel Debritto
2018, Klappenbroschur, 256 Seiten
ISBN: 978-3-87512-481-1
Maro Verlag
24,00 €
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2021-07-10)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.