„Was hab ich denn, /dass mir zum Heulen ist, /zum Weinen,/ zum Hilfe rufen und/ die Luft runterschlucken muss und ausspucken?“, schreibt Ignazio Buttita in seinem Gedicht „Heute Abend“ und am Ende bekennt er, doch nur betrunken gewesen zu sein. Hat er also nur vor Glück geweint? Oder leidet er unter der von Gesualdo Bufalino definierten „isolitudine“ (zusammengesetzt aus „isola“ und „solitudine“, Insel und Einsamkeit) der Sizilianer? Vielleicht haben ihn aber auch ganz einfach Carlo Levis „schwarze Augen“ verrückt gemacht, die einen überall anstarren, in Palermo, in Sizilien.
„Die Blicke, die diesen höllischen oder paradiesischen Herden entflammen (sic!), begegnen einem allenthalben in den belebten Strassen“, schreibt Levi und auch wenn er wahrscheinlich „entstammen“ meinte und es sich wohl um einen Druckfehler handelt, wird doch klar, dass man Sizilien nur entweder hassen oder lieben kann. Danilo Dolci wiederum beschreibt eine ganz persönliche Geschichte von Gino O., der als „Kind der Sünde“ geboren, bald zu einem ausgereiften Handtaschendieb wurde. Gaetano Savatteri schreibt: „Es läutert sich Palermo von seinen Übeln oder bereitet neue vor.“ Eine Stadt im Ausnahmezustand? „Zwischen Fest und Massaker“ heißt der Beitrag Vincenzo Consolos wohl nicht umsonst, denn er beschreibt, dass nur Santa Rosalia und die italienische Fußballmannschaft „den Wahnsinn, das Fieber, den giftigen Schaum, die mörderische Wut“ dieser Stadt besänftigen könnten. Palermo sei ein „Schlachthaus, die Strassen sind Fleischerläden mit Blutlachen, Blutbächen, über die Zeitungen und Leintücher gebreitet werden“. Es finde ein Krieg gegen Kultur, Zivilisation und Menschenwürde statt, der Palermo zu einem Beirut eines „Krieges gegen die Armen“ mache. Vielleicht hilft da nur mehr die Flucht aufs Land?
Der zweite Teil der literarischen Einladung ist nämlich Sizilien gewidmet und das nicht nur seinem Klima, seiner Landschaft und den Menschen, sondern auch den Adligen, Pächtern, Bauern und Kleinbürgern. Natürlich spielt auch die sizilianische Emigration eine Rolle, genauso wie die Immigration der afrikanischen Flüchtlinge nach Lampedusa, einer Sizilien vorgelagerten Insel im Süden der Trinacria. „Arbeitssuche“ als Thema wird etwa von Leonardo Sciascia beschrieben, sogar auf humorvolle Weise, trotz der traurigen Thematik. „Du wirst schon Arbeit finden“, sagt der eine Protagonist zum anderen, worauf die Begründung folgt: „Wenn so viele gehen, muss es für die, die bleiben, doch Arbeit geben“. Mit den Deutschen könne man nicht reden, sagt der Emmigrant, „sie sehen uns nicht, sie nehmen uns nicht wahr…Und man fühlt sich wie eine Fliege an einem Spinnenfaden, die über ihren Biergläsern baumelt…Das Bier! Mein Gott, das Bier!...“
Wer die Schönheiten Siziliens kennt, der möchte es nie verlassen und doch sind viele dazu gezwungen. Im „Land der Exzesse“, wie Gesualdo Bufalino Sizilien nennt, ist nicht nur alles von den Menschen Geschaffene ein Exzess, sondern auch die Menschen selbst. „Wir sind unsympathisch“ sagt Leonardo Sciascia auf die Inselbewohner gemünzt. Wahr sei sicherlich, dass die Sizilianer „speziell“ seien, „im Guten wie im Bösen“. Ein Antagonismus, der nicht nur in der Vergangenheit Grosses erschaffen hat. Vorliegendes Buch liegt auch als Lesung mit Maja Maranow auf CD beim Wagenbach Verlag vor.
Katharina Bürgi (Hg.)/ Enzo Sellerio (Fotos)
Sizilien und Palermo
Eine literarische Einladung