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Rezensionen


 
Markus Brüderlin - In Sook Kim Saturday Night
Buchinformation
Brüderlin, Markus - In Sook Kim Saturday Night bestellen
Brüderlin, Markus:
In Sook Kim Saturday
Night

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(Bücher frei Haus)

Das Konzept dieses doch sehr außergewöhnlichen Fotobandes ist schnell erklärt: Zeitungsmeldungen wurden als Grundlage für Fotoshoots verwendet und in den Fenstern eines fiktiven Hotel (tatsächlich aber das Radisson Blu Media Harbour Hotel in Düsseldorf) inszeniert aneinandergereiht. Was dabei entstanden ist, ist ein Querschnitt durch das urbane Leben von Großstädtern am Anfang des 21. Jahrhunderts. Bewusst wurde auf eine genauere geographische Zuordnung verzichtet, es könnte ein x-beliebiges Hotel in einem x-beliebigen Ort in einem x-beliebigen Land sein, selbst die dargestellten Personen sind austauschbar, auch wenn sie das gemeinsame Thema vereint: die Einsamkeit.

Die Gefahr, sich „in der Anonymität der Großstädte zu verlieren“ untersucht die 1969 geborene Fotoartistin In Sook Kim (* in Südkorea) in ihren Fotoportraits einsamer und beinahe gottverlassener Menschen, die selbst, wenn sie über einen Partner verfügen, lieber an der Wand des Nachbarn lauschen, als sich mit ihrem unmittelbaren Gegenüber zu unterhalten. Mit „TV, Computer, Sex, Alkohol, Psychopharmaka oder Drogen“ würde vergeblich versucht, die quälende Leere zu füllen, um die schreckliche Isoliertheit zu übertönen. In Sook Kim will die Abgründe des menschlichen Daseins erkunden und durch die erleuchteten Fenster einer Hotelfassade ins Rampenlicht stellen. Einzelne Bildausschnitte, Detailvergrößerungen und Portraits des eigentlich 2 x 3 Meter (!) großen Bildes geben den Blick frei auf die inszenierte Einsamkeit, die gar nicht so weit von der tatsächlichen entfernt ist, nur dass darauf keine Scheinwerfer gerichtet sind.

„In einer Selbstreflexion wird das Abgründige ausgelotet, dort wo Lust, Schmerz, Ekstase und Askese in eine emotionale Transzendierung münden“, schreib Jean-Christophe Ammann über die Fotografien In Sook Kims und man mag in diesen Worten das eigene Selbstmitleid mitschwingen hören. „Saturday Night“ sei eine Intimaufnahme zur „Architektur der Seele am Beginn des 21. Jahrhunderts“, wie Markus Brüderlin seinen Beitrag übertitelt. An einen „Weihnachtskalender“ wurde er erinnert, die einzelnen Wohnzellen erschienen ihm zuerst als Bienenwaben, die nächtens von hinten hell erleuchtet worden seien. Die „Voyeur Art“ In Sook Kims rüttelt sogleich an den eigenen seelischen Befindlichkeiten, da man gezwungen ist, Dinge zu beobachten, die man eigentlich gar nicht wirklich sehen will. Wer sieht schon gerne beim Nachbarn in seine Wohnung, wenn er mal vergessen hat seine Vorhänge zuzuziehen? Eigentlich ein Hobby, das man nur von New Yorkern kennt, die in der Midtown wohnen, dort aber dann sogar gut ausgerüstet, mit Fernglas und Blick auf die verglaste Dusche der Nachbarin, die über die Transparenz derselben natürlich Bescheid weiß, sich also auch gerne beobachten lässt. In Sook Kim legt das Bedürfnis nach Neugierde und Imitation beim Betrachter bloß, da man selbst doch gerade „Samstag nachts“ auf der Suche nach Abenteuer und Abwechslung vom bloßen Alltag unter der Woche ist. Ab Freitag Abend beginne das „wirkliche Leben“, das man nicht gewillt ist vor dem Fernseher zu verbringen, dann schon lieber mit Fernglas hinter den eigenen zugezogenen Vorhängen mit Blick auf den Skyscraper vis a vis oder eben das Radisson Blu Media Harbour Hotel in Düsseldorf. Bei In Sook Kim sind es immerhin 66 Stories, die auf sechs Etagen des Hotels ausgebreitet werden und damit quasi miteinander verquickt auch eine Geschichte erzählen, ganz wie bei einem Comicstrip wird hier Zeit in Raum verdichtet. „They chronicle life and our modern human condition“, meinte die Fotografin einmal in einem Interview über ihr Werk.

Einer etwas anderen Herangehensweise an „Saturday Night“ bedient sich Sabine Schnakenberg in ihrem Essay. Sie beschreibt zuerst die Auswahl des Hotels und seine Möglichkeiten, gibt die Maße allerdings mit 3 x 4,7 Metern an, wobei die 66 Tableaus insgesamt 20,3 x 25,4 cm messen würden. Wer will kann es sich also gerne ausrechnen, wie groß das ganze Bild nun tatsächlich ist. Nach der Klärung der Ressourcen beschreibt Schnakenberg die einzelnen Räumen, wobei natürlich die Auswahl der beschriebenen Szenen willkürlich erscheint, oder vielleicht am Sensationswert gemessen wurden: Mord, Prostitution, S/M-Fantasien oder Drogenexzesse und Selbstmord. „In Sook Kim isoliert den Moment innerhalb der Geschichte, der ihr wichtig ist, aus dem Fluss der Handlung. Die Kamera isoliert diesen Moment aus dem Fluss der Zeit.“ Mit dem Titel „Saturday Night“ knüpfe sie bewusst an die Vorstellung an, dass dieser Abend eigentlich der Familie vorbehalten sei, schreibt Schnakenberg, die moderne Gesellschaft habe dieses Ritual aber verloren. Vielleicht sollte man an dieser Stelle anmerken, dass die Gesellschaft die Familie als Konzept verloren hat und Samstag Nacht eben nur mehr der Reproduktion der eigenen Arbeitskraft dient und nicht mehr dem Gemeinwohl. Am Ende scheint „alles still und ruhig“ wie Schnakenberg schreibt, das Hotel ist von einer dünnen Schneeschicht überzogen, die Magie der Farben, die aus den Zimmern strömt steht wie ein Inferno im Kontrast zu der lieblichen und friedlichen ent-persönlichten Landschaft eines Hotels. Die Natur hat ihren Schrecken längst verloren, der Mensch ist es nun, der ihr diesen wieder einhaucht. „Der Reiz des Schreckens berauscht nur die Starken“, schrieb einst Charles Baudelaire, nennen Sie eine Zahl und schlagen Sie eine Zimmernummer auf, wer weiß ob Sie nicht sich selbst dabei überraschen, etwas Verbotenes zu tun und den Baudelairschen Schrecken neu erleben. Z.B.: Zimmer 103. Titel: „Ich gehe!“ Eine Frau in Kokonstellung, der Text stammt aus einer Umfrage unter Frauen. Auch sie hätten Bindungsängste und wenn es nicht die große Liebe ist, dann packen sie einfach die Koffer und gehen. In der einkehrenden Einsamkeit im Hotel stellen sie dann fest, dass Weglaufen auch keine Lösung ist. Aber dann ist es bereits zu spät.

In Sook Kim
Saturday Night
Fotoband mit Texten
von Sabine Schnakenberg und Markus Brüderlin
Deutsch/Englisch

2009
Hatje Cantz Verlag
www.hatjecantz.de
296 Seiten 29x24 197 farbige Abbildungen
ISBN: 978-3-7757-2447-0
39,80.-€

[*] Diese Rezension schrieb: Juergen R. Weber (2009-10-06)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


->  Stichwörter: Fotografie

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