„Warum hat er sie wohl umgebracht?“ „Sie hat ihn wohl gebeten, sie umzubringen.“ Der Dialog der Gattin eines Fabrikanten und dem Fabrikarbeiter Chauvin bezieht sich auf einen Mord an einer jungen Frau, der im Café de la Gironde am Hafen geschah. Mit diesem Ereignis, das die ganze Stadt beschäftigt, als Ausrede trifft sich das ungleiche Paar immer öfter, bis schließlich eine Affäre daraus wird. Chauvin muss ihr immer wieder neue Details erzählen über den Mord, zumeist erfindet er diese, nur um sie treffen zu dürfen und sie anzusehen und seine Hände um ihren Hals zu legen. Immer wieder zeigt Peter Brook die herbstlichen Baumalleen im Hintergrund, mal im Wind, mal an der Promenade und diese Bäume scheinen wirklich Unheil zu verkünden, sind sie doch völlig kahl, ohne Blätter, stumme Zeugen einer traurigen Begegnung.
Denn plötzlich beginnt Chauvin sie zu hassen, wohl weil ihm bewusst wird, dass aufgrund des Klassenunterschiedes (das war in den Sechzigern noch ein wichtiges Thema) nie etwas zwischen ihnen beiden entstehen wird können. Sie sucht ihn und als sie ihn in seiner Stammkneipe, dem Café de la Gironde, alleine vor einem Glas Wein findet, gesteht sie ihm ihre Liebe, aber sie glaubt es nur, sie weiß es nicht, sie ist sich überhaupt nicht sicher, und deswegen antwortet Chauvin ihr: „Vielleicht hat er sie auch sofort umbringen wollen, gleich beim ersten Mal. Vielleicht haben wir uns getäuscht. Vielleicht habe ich mich nicht gekannt, bevor ich sie kannte.“
„Anscheinend bin ich für ein dauerhaftes Glück nicht geschaffen. Ich glaube, dass ich nur für kurze Abenteuer geschaffen bin. Mit einer gewissen Sorte Männer. Und das weiß ich selbst erst seit einigen Tagen, seit ich sie kenne. Wenn ich wüsste, ob es sich lohnt, für einmal lohnt?“ Chauvin schickt sie weg, einmal ist ihm nicht genug, seine Gefühle sind ehrlich und nicht zu portionieren. Es gibt kein „vielleicht, eventuell, glauben“ in der Liebe. Entweder sie beherrscht dich oder eben nicht. Dann wird sie für den anderen, der wirklich liebt, wie für Chauvin, zu Hass. Die Sonatine von Anton Diabelli wird von ihrem Sohn bei der strengen Klavierlehrerin eingeübt, doch der Kleine vergisst immer wieder, was moderato cantabile heißt. „Gemäßigt und getragen“, rügt ihn seine Mutter, „merke es dir doch endlich, gemäßigt und getragen“. Doch genau diese bürgerliche Gemäßigtheit kann sich Chauvin nicht erlauben, seine Gefühle sind echt und voller Leidenschaft und schlagen wohl auch deswegen so schnell ins Gegenteil um.
Die wunderschönen S/W Bilder, die Jazz-Musik, die ganze Atmosphäre erinnern an einen klassischen französischen Existentialisten-Film, wie man sie aus den Sechzigern schon kennt, aber Moderato Cantabile ist sicherlich einer der herausragendsten und besticht gerade auch durch seine „Gemäßigheit und Getragenheit“ und weil er sich fast ausschließlich mit den beiden Hauptdarstellern beschäftigt, in ruhigen und entspannten Bildern, Bildern des Abschieds und der Trauer. Die literarische Filmvorlage stammt von Marguerite Duras. Peter Brook, der Regisseur wurde später durch „Herr der Fliegen“ und „Marat/Sade“. Jeanne Moreau wurde für ihre Darstellung der Gattin des Fabrikanten 1960 in Cannes als beste Darstellerin verfasst. Jean-Paul Belmondo raucht und ist genauso cool wie später in „A bout de souffle“ (Godard 1961) aber weniger witzig. Seine Verachtung für die Fabrikantenfrau steht ihm ins Gesicht geschrieben.
Peter Brook (Regie)
Moderato Cantabile – Stunden voller Zärtlichkeit
Mit Jean-Paul Belmondo und Jeanne Moreau
Frankreich/Italien 1960
90 Minuten Deutsch/Englisch/Französisch
AL!VE Colosseo Film AG
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2011-02-22)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.