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Arnolt Bronnen - Septembernovelle
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Bronnen, Arnolt:
Septembernovelle

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(Bücher frei Haus)

Genial schräger, kurzer Prosatext, den jeder kennen sollte, der sich für Expressionismus, Knabenliebe, Schelte des weiblichen Geschlechts oder die österreichische Literatur interessiert. - Sowie für: Nazi-Schriftsteller!

Arnolt Bronnen, eigentlich ja Arnold Bronner aus Wien, Kriegsverwundeter, Jurastudent, KadeWe-Angestellter in Berlin, Expressionist, Kumpel von Bertolt Brecht, mit dem zusammen er die Bühneneinrichtung eines Werks von Hans Henny Jahnn besorgte, dann auch guter Bekannter von Ernst Jünger und Joseph Goebbels, Verfasser eines revanchistischen Oberschlesienromans, Schreihals während einer Thomas-Mann-Rede - zusammen mit einem Trupp SA-Leute, (partiell homosexueller) Scheinehemann für Goebbels Geliebte Olga, Mitarbeiter des ersten deutschen Fernsehens, Halbjude, in zweiter Ehe Vater einer bekannten Schauspielerin und einer bekannten Schriftstellerin, aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen, nach Österreich zurück und dort Helfer des antinazistischen Widerstands, unter der amerikanischen Besatzung eine Zeitlang Bürgermeister (als welcher er die ihm bekannten Nazis mit einer Sondervermögensabgabe von 10 Prozent an den Aufbaukosten zwangsbeteiligte), 1951 Dramaturg in Wien, dritte Ehe, KPÖ-Mitglied. Johannes R. Becher, schon in expressionistischen Jahren mit ihm befreundet, holt (als Kulturminister der DDR) Bronnen nach Ost-Berlin, wo er für die „Berliner Zeitung“ schreiben darf. Wegen Bekanntwerdens seiner vormaligen Goebbels-Vertrautheit war nach Brechts Tod 1956 Bronnen aber doch erledigt, kaltgestellt, vergessen, Herztod im Sommer 1959. Seine, ihn unter die schillerndsten Charaktere deutschsprachiger Kultur im zwanzigsten Jahrhunderts einweisende Abenteuer- und Krawalllüsternheit fällt uns beim Lesen an: in dieser kleinen Sommerliebe-Debakel-Novelle. Mit 28 Jahren durfte er „Septembernovelle“ bei Ullstein herausbringen. Nach seinem Skandalstück „Vatermord“ von 1920 war er bekannt damals für blutige Sexualmetzelei innerhalb der Kleinfamilie.

Ein wie übereilt hingeworfener, unter psychischer Anspannung gesprudelter, nicht viel mehr als fünfzig Seiten langer Text, in dem so ziemlich jedes Thema aufscheint, das in den Konsolidierungsjahren der Weimarer Republik die Menschen fesseln konnte. Homosexualität und Wandervogel-Naturerleben gehörten da ja dazu. Im Kern ist es eine verunglückte Romanze des Salzburger Lehrers Huber mit einem fünfzehnjährigen Adonis aus dem Volke.

Aufgereiht in knappe Hauptsätze, die Kommas sind gestrichen, Punkte an den Satzenden werden zwischen Leerzeichen davor und danach gefügt. Österreichische Vokabeln und Wendungen durchsetzen eine expressionistisch aufgemotzte, wohl „kristallin“ sein wollende, sicher nicht leicht verdauliche Sprachstilistik. Thema wäre die Überwältigung des Geistesmenschen durch seinserschütternde päderastische Schönheitsbegegnung, unkontrollierbarer Magnetismus zwischen einem proletarischen Schmugglerkind, einem Schulschwänzer und dem Familienverantwortlichen, dem mit patriotischer Freundesherrenrunde ausgestatteten Literaturlehrer. Dieses wäre Thomas Mann und Frank Wedekind, damit kann ein Wirrkopf-Naturell wie Bronnen nicht zufrieden sein. Das knallt noch mehr!

Zuerst einmal ist der Studienrat nicht ängstlich, obrigkeitshörig, Professor Unrat, wie man sich solche Kameraden ausmalt, sondern der unterwirft den neugierigen, aber unerfahrenen Jüngling mit Körpergewalt sich, bevor dessen hässlicher, vorsichtig schon tastender Kumpan ihm zuvorkommen kann. Vergewaltigung zwar, aber das spielt gleich keine Rolle mehr, denn in ihrer Fleischlichkeit erfahren die beiden Mannsleute eine Energieexplosion wie nie vorher. Dazu winken kurz noch die zeitüblichen Fragen: der Stellungskrieg in den Alpen, Verwundung, der zu Hause verspielte Kampf um die Ehre der deutschen Nation. Zu Hause nun auch ein Weib, kleinkindgesättigt, en nuce so ziemlich alles an Abscheulichkeit und verderbender Lockung des Femininen, das ein mit Lektüre von Otto Weininger, Franz Kafka, Carl Sternheim oder Gottfried Benn Gestählter sich vorzustellen vermag.

Tümpel der Weiblichkeit. Ich habe nicht behauptet, man könne das hinter solchem Schreiben stehende Denken heute noch lieben! Man kommt nicht umhin, es „voll daneben“ zu finden. Sicher fällt einiges an Häme ab ob all der Geschraubtheiten eines spätnietzscheanischen Genie-Junioren, seiner gewollten Skandalhascherei. Dennoch: Was Arnolt Bronnen hier an thematischer Tour d’horizon und Kraft künstlerischer Gestaltung zusammenrotzt, dieses Konzentrierte und unverfroren Eigene-Regeln-Setzen, wird sich in zukünftigen Tagen neben den revoltierenden Neuankömmlingen auf der literarischen Bühne immer weiter sehen lassen können. Es ist schlicht zu gut, um nicht gedruckt zu werden! KlettCotta brachte es zuletzt, zurzeit muss man sich „Septembernovelle“ antiquarisch besorgen. (Und: Erst mal nachmachen, ihr viel aufgeklärteren Lehrerseelen dort draußen!)

Als Kostprobe geben wir eine Passage, bei der das weibliche Prinzip, Hubers Ehefrau, sich mit toller Raserei der Herausforderung stellt, die das Reich des Mütterlichen zu sprengen droht. Diesen grazilen Halbwüchsigen mit der pansexuellen Hingabefähigkeit wird sie restlos auslöschen, ihn der Existenz berauben, sich ihren Huber wieder holen. Geschehen kann es, indem ein Messer in ihrer Hand den Jungen abschlachtet - oder auch, indem die Lockung ihres Körpers diesen Ausprobierenden von der Männerliebe weglockt. Geschehen wird es, indem auch sie an dieser jugendlichen Sinnlichkeit zerschellt wie vor ihr der Mann. Bronnen zwingt das in wenige Zeilen hinein. Gnadenlos daneben, letztlich wirklich nicht schlecht. Ein Kraftbolzen.

Zitat:

Der Knabe stand da Gier wuchs in ihm und Angst . Er hielt seine Hand zurück : Ich will nicht . Was war mit den Huren ? Er kannte das doch ? Das war anders erkannte er zu spät . Hier bin ich wehrlos . Sie ist stärker . Bin ich zu jung denn !
! ! Nicht sterben ! ! Nicht sterben schrie es in ihm noch . Er wußte alles . Was kommt was kommt !
Das Hemd fiel . Über den schwarzen Schenkeln wuchs auf Fülle Gier Fleisch Wollust . Er hielt ihre Hand die zitternd nach ihm griff . Sie lehnte saß halb am Sofa Schenkel umfaßten ihn glühend die Brüste geilheitsvoll stachen ihn an er drang in sie ein es durchfuhr sie daß sie sich aushauchte wie sterbend . Er war ihr fern sie sah ihn ganz sah seine Schönheit ganz er hielt ihre Brüste ! ach ihre Brüste sie stemmte ihn leicht weg daß sein Blut sie nicht übergießen sollte . Ich hab noch nie geliebt schrie es in ihr es soll nicht enden es soll nicht enden ich will dich ewig -


[*] Diese Rezension schrieb: Klaus Mattes (2015-10-08)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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