Werke von Michelangelo, Artemisia Genitileschi, Jan Stehen, Hans Makart, Delacroix, Tiepolo, Franz von Stuck oder Andy Warhol: in mehr als 2000 Jahren beschäftigten sich hochrangige Künstler mit der ägyptischen Pharaonin, die sich selbst der größte Preis war, denn sie führte sich selbst die Schlange an den Hals, um nicht unter römischer Herrschaft leben zu müssen. Die Kunsthistorikerin Mieke Bal nannte unseren Blick auf „die ewige Diva“ eine „preposterous history“, weil auf die visuelle Kultur der Vergangenheit durch deren späteres Recycling zu schauen bedeute, eine ungewohne Verbindungslinie zwischen der Gegenwart und den ererbten Bildformen offen zu legen. „Die Umkehr, ‚die das was chronologisch zuerst kam als Nacheffekt hinter dessen späteres Recyling stellt´ zieht eine bestimmte Weise Geschichte zu sehen nach sich `eine mögliche Art und Weise mit der `Vergangenheit heute´ umzugehen´.“, schreibt Elisabeth Bronfen in Anlehnung an Bal. So wird die selbstmörderische Geste der Kleopatra bei Gentileschi mit den eigenen Gesichtszügen versehen und erinnert in der Geste ihrer Hand auch and deren Selbstportär als Allegoire der Malerei. „Die Schlange, die ihinter dem ausgestrekcten rechten Arm der Königin nur vage zu erkennen ist, wirkt wie ein Pinsel und übersetzt die Geste des Selbstmords in eine Allegorie auf die Malerin, die sich mit diesem Gemälde in die männliche Tradition des weiblichen Selbstopfers einschreibt“, so Bronfen. Mit ihrem gewählten Selbstmord habe Kleopatra eine poliltische Geste gemahct, denn sie beraubte Octavian um eben das, was er frü seine Macht benötigte: einen Triumphzug durch Rom mit der besiegten Königin an der Kette. Sie inszenierte sich gewissermaßen selbst und machte sich so zur Ikone für viele andere weibliche Protagonistinnen im Kampf gegen die Herrschaft des Mannes oder des Imperiums. So kann auch in einer Niederlage, ein großer Triumph beginnen, der die Jahrhunderte sogar zu überdauern vermag.
Die Rezeption und Neusinszenierung der Kleopatra in der Moderne begann in Hollywood mit einer gewissen Theodosia Goodman, der Tochter eines jüdischen Schneiders, die kurzerhand in Theda Bara umbenannt wurde und zur ersten Inkarnation Kleopatras auf der Leinwand werden sollte. Ihr Künstler-Nachnahme war ein rückwärts gelesenes „Arab“ und Bara sollte „Arab Death“ bedeuten. Schon damals bediente sich Hollywood gewisser Geschichtsmythen, um seine Produkte besser zu verkaufen und fügte ein wesentliches Element noch hinzu: die orientalische Schönheit, der exotischer Glanz vor Erotik nur so sprüht. Dementsprechend freizügig war auch Theda Baras Kostüm, das ihre Brüste nur unter einem mäandernden Blumengerüst bedeckt entblößte und damit die Fantasien der symbolisitischen Malerei noch ein Quentchen vorantrieb: ins bewegte Format nämlich. Theda Bara griff die Tradition für den voyeuristischen Blick des Betrachters auf den entblößten weiblichen Körper auf, fügte diesem aber eine schamlose Lust an der Selbstdarstellung noch hinzu, so Bronfen. „Die Erotik, die sie verkörpert, ist auf fröhliche Weise ambivalent, eine Kreuzung zwischen weiblichem Exhibitionismus und aggressiver Selbstbehauptung.“ Theda Baras Verkörperung der Cleopatra wurde zu einem der finanziell ertragreichsten Filme der Zehner Jahre, sodass ich erst wieder 1934 Cecil B. Milles an den Stoff heranzutrauen wagte. Claudette Colbert interpretierte ihre Cleopatra als „ideale Gefährtin“, geistreich und professionell und auch sie stirbt für die Liebe, alleine in ihrem Palast. Joseph L. Mankiewicz besetzte Cleopatra dann mit Elizabeth Taylor und wahrscheinlich wird Cleopatra seither mit ihr identifiziert und vice versa. Fox ruinierte sich damals fast mit den Produktionskosten in der römischen Cinecittà, aber der Film wurde dann ja auch ein Megaerfolg. Die Taylor erhielt damals 1 Million US Dollar.
Bei Shakespeare wird das Phänomen Kleopatra in schönen Versen quasi besungen: „kein Alter kann/sie welken, noch Gewohnheit fad sie machen/In ihrer grenzenlosen Vielfalt:andre Frauen,/Die sättigen den Hunger, den sie nährn,/Doch sie macht hungriger, so mehr sie stillt“. Agnieszka Lulinska hat in ihrem Beitrag zu vorliegender Publikation keine Zweifel, dass diese Frau es verdient, dass man ihretwegen den Verstand verliert. Sie werde einerseits zum „Kristallisationspunkt der modernen Identitätsbefragung, andererseits rücke sie in den Fokus der jeweils aktuellen Bildfindungen unterschiedlicher Epochen. Bei Kleopatra gehe es immer auch um eine Auseinandersetzung mit dem weiblichen Schönheitsideal, aber auch um die Interpretation der Rolle der Frau im jeweiligen Moment der Geschichte. Moralisch sei sie zwar zweifelhaft geblieben, ewige Verführerin und „fatale monstrum“, aber dennoch die Idealbesetzung für das große Format. „Monumentale Tapisserien mit Szenen aus ihrem Leben schmückten in der Barockzeit die Bankettsäle fürstlicher Residenzen in ganz Europa, die großformatige Historienmalerei des 19. Jahrhunderts zelebrierte Kleopatra vor einem Massenpublikum der Salons als das ideale Sujet seiner schwülen Orientfantasien“, so Lulinska.
Weitere spannende Beiträge und großformatige Abbildungen zeigen wie nahe Schönheit und Tod liegen und wie legendär dessen Inszenierung. Der Ausstellungskatalog „Kleopatra – die ewige Diva“ zeigt die Spuren der Herrscherin in beeindruckenden Bildern und ihre vielen Gesichter von der Antike bis zur modernen Popkultur, etwa bei Andy Warhol, Madonna oder Siouxie Banshee, Grace Jones und sogar Lady Gaga. Wie Thomas Keller in seinem Beitrag ausführt, war es aber eigentlich gar keine Frau, sondern David Bowie als Ziggy Stardust, der Kleopatra in die moderne Popwelt einführte. Kleopatra VII. Philopator (Vaterliebende) bestieg mit 18 Jahren den Thron ihres Vater und regierte gemeinsam mit ihrem zehnjährigen Bruder ab 51 v. Chr. 20 Jahre lang herrschte sie über das Reich am Nil und betörte Julius Cäsar und – nach dessen Tod – auch Marc Anton. Seinen Wunsch, neben Kleopatra beerdigt zu werden, empfindet Rom als Verrat und sein Widersacher Octavian, der spätere Kaiser Augustus, erklärt ihm im Namen Roms den Krieg. Marc Anton unterliegt – und stirbt angeblich in den Armen seiner Geliebten, die sich ebenso angeblich eine Kobra an die Brust legte. So sehr die Wissenschaft an dieser Legende auch zweifelt – die Theorie vom spektakulären Selbstmord ist der Hauptgrund ihrer Berühmtheit. Aber bis heute ist die Königin vom Nil auch der Inbegriff einer klugen, schönen und stolzen Frau, die sich lieber das Leben nimmt, als im Triumphzug des Feindes gedemütigt zu werden.
Kleopatra
Die ewige Diva
Hrsg. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn
Sofort lieferbar. Beiträge von J. Anderson, S.-A. Ashton, E. Bronfen, U. Eigler, P. Geimer, I. u. A. Grimm, E. Herán, S. Hermanski, T. Keller, G. Krüger, A. Lulinska, B. Straumann
336 Seiten, 87 Farbtafeln, 41 in Schwarz-Weiß, 138 Abbildungen in Farbe, 44 in Schwarz-Weiß
24,5 × 28 cm, gebunden
München, 2013.
ISBN: 978-3-7774-2088-2
45,00 € [D] | 57,90 SFR [CH]
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2014-02-25)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.