„Wie sehr ich mir doch wünschte, der Damm und die Bahnlinie würden durchbrochen oder abgetragen, Venedig abgeschnitten und die Lagune wieder zum Sumpf, die aufgeschütteten Kanäle der Stadt dem Wasser zurückgegeben, Venedig würde unbegehbar, isoliert, unpraktisch, ganz es selbst und ganz anders als die übrige Welt!“
Harold Brodkey kam zum Sterben nach Venedig. Er hatte als junger Mann schon einmal in Venedig gelebt oder war hier aufgewachsen und will nun nicht nur von dieser Stadt, sondern auch von seinem eigenen Leben Abschied nehmen. „Noch immer lebe ich wie ein Junge in der brausenden Gischt der offenbarten Zeit, nur lebe ich jetzt am anderen Ende meiner Geschichte.“ Er hatte gerade seinen letzten Roman „Profane Freundschaft“ veröffentlicht, für den er von der Kritik sehr gelobt wurde, der auch teilweise in Venedig spielt, und nun wollte er hierher zurückkommen, ein Gustav von Aschenbach amerikanischer Provenienz sozusagen, „Tod in Venedig“ nicht als Fiktion, sonder als traurige Realität. Die Übersetzerin hat aber nicht nur die letzten Worte Brodkeys, die er in Venedig schrieb, sondern auch andere Passagen aus seinem Werk, die sich mit Venedig beschäftigen zusammengetragen und sie durch die Fotos von Giuseppe Bruno miteinander verbunden. Entstanden ist eine lesenswerte, melancholische Betrachtung der Welt aus der Perspektive eines Sterbenden, er war 66 Jahre alt, als er von seiner unheilbaren Krankheit erfuhr.
„Venice: Im Englischen wirkt der Name der Stadt visuell mimetisch, das V erinnert an Wellen, waves, ist aber, auf den Kopf gestellt, auch das Dach eines Campanile oder ein gotischer Spitzbogen; und das e, n und c beschwören die byzantinischen Kuppeln herauf, das i den gotischen Brückenpfeiler oder den Schaft des Campanile“
Die Italiener beschreibt Brodkey als „Sonnenmenschen“, wobei er sehr wohl zu differenzieren weiß. Selbst zwischen den Gondolieri und den Traghetto-Männern (die nur über den Canal Grande übersetzen) weiß er markante Unterschiede auszumachen, die den Leser ermuntern oder sogar eigene Gedanken zu bestätigen vermögen: „Sie sind von Wein und Sonne gegerbt, maßvoll müde und ein wenig betrunken“, doch „in ihrer permanenten leichten Trunkenheit sind sie innerlich befreit“. Ersteres trifft wohl auch auf die Gondolieri zu, sagt man, doch letzteres vielleicht weniger?
Auch das Verhältnis zu seinen Kritikern wird beleuchtet: er fühlt sich allein, so wie alle Schriftsteller, doch die Kritiker hätten über Phalangen von Lesern zu befehligen, sie hätten eine ganze Armee hinter sich, während ein Schriftsteller allein sei, „ein Opfertier, ein Wahnsinngier, ein Narr. Oder ein Sterbender, oder betrunken“. Man kann ja auch von der Liebe betrunken sein, von der Liebe zu Venedig, denn wer in dieser Stadt arbeitet, dem wird es wohl ebenso wie Brodkey gehen, wenn er sich frägt: „Die venezianische Liebe stellt einen vor ein Problem. Ist es Liebe, wenn man nicht einen Menschen am meisten liebt?“
Harold Brodkey wurde 1930 in Staunton, Illinois geboren und wuchs in Missouri auf. Er studierte Literatur in Harvard, Boston, MA und unterreichtete später Creative Writing in Cornell und an der City University of New York. Zweimal erhielt er den O. Henry Award und einmal den begehrten Prix de Rome. Er verstarb im Januar 1996 an den Folgen seiner Krankheit, von der auch in vorliegendem Buch die Rede ist.
[*] Diese Rezension schrieb: Juergen Weber (2008-11-28)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.