Dieses 1949 erstmals erschienene Romanfragment enthält eine doppelte Spiegelung. Die Gegenwart nach zwei Weltkriegen erkennt sich im Rom Cäsars wieder und versteht sich selbst besser infolge eines tief gehenden Vergleichs politischer und wirtschaftlicher Strukturen. Und jene ferne Vergangenheit wird entmythologisiert, indem gegenwärtige Erklärungsmuster zu ihrer Aufhellung herangezogen werden. So ist das Werk zugleich politisches Aufklärungsbuch wie ironischer historischer Roman.
Die Rahmenhandlung: Ein fiktiver Biograph Cäsars besucht zwanzig Jahre nach dessen Tod wiederholt einen Bankier und früheren Gerichtsvollzieher, der ihm ein Dokument verschaffen soll, das Tagebuch des (ebenfalls fiktiven) Sekretärs Rarus. Es wird ihm nacheinander in drei Teilen übergeben. Zugleich werden dem Biographen vom Bankier mündlich Einblicke in Cäsars materielle Lage vor dem Triumvirat vermittelt. Sie war von Verschuldung und der Verquickung geschäftlicher mit politischen Aktivitäten gekennzeichnet.
Das ist auch das Hauptthema bei Rarus: der politische Aufstieg seines wirtschaftlich ruinierten Herrn in einer Zeit größter Umwälzungen. Durch Rarus zeichnet Brecht das Bild einer Republik, die sich durch Eroberungskriege imperial überdehnt hat und in der zwischen zwei dominierenden Klassen – Patriziat und Kaufmannschaft – ein Kampf um die Kriegsbeute ausgetragen wird. Zur gleichen Zeit drängen aus den eroberten Provinzen billige Waren und billige Arbeitskräfte (Sklaven) auf den römischen Markt und vernichten die Existenzgrundlage der einheimischen Bauern und Handwerker. Deren Verzweiflung macht sich der Abenteurer Catilina zunutze und versucht, sich an die Macht zu putschen.
Das Tagebuch des Rarus verschafft fortlaufend Einblicke in das Alltagsleben im damaligen Rom, sowohl das der Oberschicht wie auch der unteren Klassen. Es enthält darüber hinaus noch eine tragikomische Nebenhandlung: Der nicht unvermögende Sklave Rarus liebt den freien römischen Bürger Caebio, einen arbeitslos gewordenen Parfümeriearbeiter. Rarus unterstützt Caebio materiell, doch nicht genügend. Caebio wendet sich von ihm ab und lässt sich vom Rivalen des Rarus, einem Lagerverwalter, einen Schreiberposten verschaffen. Schließlich zieht der Proletarier Caebio mit Catilina in den Bürgerkrieg und kommt darin um.
Gut sechzig Jahre nach dem ersten Erscheinen liest sich der amüsant geschriebene Roman in Teilen erneut wie eine aktuelle Satire – auf Expansionskriege, Globalisierung, weltweite Waren- und Menschenströme und die Macht der politischen Phrase. Sein letzter Satz lautet: „An allen Mauern klebt heute die einfache Parole: ‚Demokratie ist Friede!’“ Cäsar war saniert und die korrumpierte Republik taumelte ihrem Ende entgegen.
[*] Diese Rezension schrieb: ArnoAbendschoen (2010-07-27)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.