Michael Braungart, Professor für Chemische Verfahrenstechnik und Geschäftsführer der Umweltschutzagentur EPEA in Hamburg ist das, was man einen Pionier nennt. Er hält seit langem unsere Umweltschutzstrategie für grundlegend falsch, weil sie, wie er sagt, darauf angelegt sei, den Schaden der Produktion für die Umwelt lediglich zu minimieren. Seine Vision indessen ist eine Kreislaufwirtschaft, bei der erst überhaupt kein Schaden entsteht.
Sein Vorbild sind dabei die Ameisen. Ginge es nach ihm, gäbe es in Zukunft nur noch zwei Arten von Produkten: Verbrauchsgüter, die vollständig biologisch angebaut werden können und Gebrauchsgüter, die sich endlos recyclen lassen. "Cradle to cradle" - von der Wiege zur Wiege - bezeichnet er dieses Kreislaufprinzip. Er forscht seit Jahren im Auftrag von immer zahlreicher werdenden Firmen nach neuen Konzepten, um umweltschonende Produkte herzustellen.
Im seinem 2008 erschienenen Buch „Die nächste industrielle Revolution: Die cradle-to-cradle-communitiy“ gibt er nicht nur eine Einführung in sein Konzept, sondern zeigt am Beispiel Dutzender Firmen und Produkte auf, wie es tatsächlich funktioniert.
Seit 1962 die amerikanische Schriftstellerin Rachel Carson mit ihrem Buch "Stummer Frühling" die ökologische Debatte einleitete, lange vor den Büchern des Club of Rome" ist der Diskurs immer moralisch geführt worden, meistens enggeführt auf die Alternative: hier die guten Umweltschützer, dort die böse, Gift produzierende Industrie. Vielfach wird auch heute noch das Umweltthema als ein Moralthema begriffen, und Moral kann man sich in der Krise nicht leisten. Diese Moraldiskussion geht von einem total negativen Menschenbild aus: die Menschen sind böse und durch Kontrollen muss diese Bosheit im Schach gehalten werden. Auch die beiden eben erschienenen Bücher von Stephen Emmott „Zehn Milliarden“ und Alan Weisman „Countdown“, wo es um den drohenden Kollaps der Erde durch die Bevölkerungsexplosion, atmen doch unterschiedlich viel von diesem eher negativen Geist.
Doch es geht nicht um Moral, sondern um Qualität. Produkte, sagt Braungart, die Menschen krank machen, sind einfach nur primitiv. Die Biomasse der Ameisen etwa auf der Erde ist etwa viermal größer als die Biomasse der Menschen und doch sind die Ameisen kein Umweltproblem, weil alle ihre Nährstoffe immer wieder in Kreisläufe gehen. Wenn die Menschen lernen, dass sie nützlich sein können anstatt weniger schädlich, kommen die Menschenrechte zurück, sagt Braungart. Ein erstaunlicher Ansatz. Denn wenn alle Stoffwechselprodukte der Menschen wieder Nährstoffe sind (entweder biologische Nährstoffe für alle Verschleißprodukte oder technische Nährstoffe für Gebrauchsgüter), dann könnte die Erde viel mehr Menschen menschenwürdig beherbergen.
Er zeigt nun in diesem faszinierenden Buch, wie im Pionierland Schweiz, angefangen von Ciba Geigy, die nach der Sandoz-Katastrophe begannen, radikal umzudenken, begonnen wurde mit diesem Weg. Auch Firmen in Deutschland nutzen die cradle to cradle Philosophie, zum Beispiel der Textilhersteller Trigema mit seinem biologisch in einem halben Jahr abbaubaren T-Shirt, das er zudem noch in Deutschland produziert.
Doch echte Innovation braucht die entsprechenden politischen Rahmenbedingungen. Durch die zur Neige gehenden Rohstoffe ist das Zeitfenster relativ klein, sagt Braungart. Die Europäer haben weltweit das beste Industriedesign. Sie haben gute Ingenieurtechnik und sie haben nun auch durch diese Innovation die beste Kenntnis darüber, wie Dinge so gestaltet werden können, dass sie Nährstoffe für technische und biologische Kreisläufe werden.
In seinem neuen hier bei Oekom vorliegenden Buch geht Braungart noch einen Schritt weiter. Upcycling nennt er den „Weg in eine neue Überflussgesellschaft“. Noch einmal wird natürlich ausführlich die cradle-to-cradle –Philosophie beschrieben mit vielen neuen ermutigenden Beispielen.
Beim upcycling geht es nicht mehr nur um das kluge Design einzelner Produkte, sondern um die Vervollkommnung unseres Lebenstils. Ziel ist dabei „eine wunderbar vielfältige, sichere gesunde und gerechte Welt mit sauberer Luft, sauberem Wasser, sauberem Boden und sauberer Energie – eine Welt, derer wir uns in vielfacher Weise und in grenzenloser Harmonie erfreuen können“.
Braungart konzidiert, dass insgesamt nur sehr wenig Zeit bleibt, diesen Turn zu schaffen, doch er setzt auf die Mitarbeit vieler Menschen, die an ihrem jeweiligen Ort, ob sie nun ein Unternehmen führen oder lediglich einen Haushalt „das Schlechte hinweg nehmen und etwas Gutes hinzufügen“.
„Gehen Sie weiter- für das Gemeinwohl!“ ruft er seinen Lesern zu und löst beim Rezensenten, der noch ganz unter dem Eindruck der pessimistischen Sicht von Emmotts „Zehn Milliarden“ steht, so etwas wie verhaltene Hoffnung aus. Dennoch so frage ich: warum ist dieser Ansatz so wenig bekannt, warum taucht er in den Massenmedien kaum auf? Jedenfalls habe ich bislang davon nichts mitbekommen.
Vielleicht kann der engagierte Oekom Verlag daran etwas ändern. Bill Clinton jedenfalls hat zu diesem Buch ein begeistertes Vorwirt geschrieben.
Michael Braungart, William McDonough, Intelligente Verschwendung. The Upcycle. Auf dem Weg in eine neue Überflussgeselllschaft, Oekom 2013, ISBN 978-3-86581-316-9
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2013-10-09)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.