„Offenbar traut niemand mehr der Erinnerung in seinen Herzen“ schreibt die Kulturjournalistin Petra Reski in ihrem einleitenden Essay zu vorliegendem Fotobuch, das einen in die Welt von gestern entführt. Sie schämt sich etwas, für den erhebenden Moment in dem die Kirche San Moisè von einem Sonnenstrahl entrückt wird, denn doch die Kamera gezückt zu haben, denn eigentlich sollte sich ein solcher Moment doch auch ohne technische Hilfsmittel für immer in ihr Herz einbrennen. Aber wie sie selbst schreibt, hier, in Venedig, werde der Mensch eben Zeuge zu etwas, das größer als er selbst sei, viel größer. „Höchster Ausdruck menschlicher Zivilisation. Das Erhabene. (...) Ein Weltwunder, in dem man sich klein fühlt.“
Manchmal sähe Venedig tatsächlich auch heute noch so aus, wie auf den im Buch abgebildeten Diaglaspositiven: leicht verschwommen, bunte übertriebene Farben, enthoben, unwirklich. Christian Brandstätter, der Herausgeber des vorliegenden Fotobandes, hat in liebevoller Kleinarbeit die einzelnen und teilweise auch großformatigen Fotos mit Erklärungen versehen, darunter einerseits Betitelungen des Abgebildeten, andererseits auch Zitate von staunenden Besuchern, wie etwa Hippolyte Taine, der 1864 beim Betrachten des Palazzo Ducale die Allmacht der menschlichen Phantasie lobt, die sich von allem Althergebrachten lösen könne und stets Neues erfände. „Eine Art christlicher Moschee“ nennt derselbe die Basilica San Marco und auch dem Campanile kann er einiges Praktisches für die Seefahrer der Repubblica del Mare abgewinnen. „Wer nicht sein Herz stärker klopfen fühlt, wenn er auf dem Markusplatz steht, der lasse sich begraben, denn er ist tot, unwiederbringlich tot“, weiß Franz Grillparzer schon 1819 und man möchte zumindest weinen, um ihm im Nachhinein Recht zu geben.
380 Brücken soll Venedig haben, die 150 Kanäle überqueren und in ihren Reflexionen mag so mancher Besucher sein persönliches Schicksal erblicken. Wer jedoch zum Himmel emporblickt, wird erkennen, dass nur dieser es wert ist, die Decke der Piazza die San Marco zu bilden, so perfekt erschien sie dem französischen Eroberer Napoleon, der zumindest für dieses Zitat von den Venezianerin wenn nicht geliebt so doch geachtet wird. Die nachkolorierten Dia zeigen vor allem auch das einfache Volk, etwa Fischverkäufer, die ihre Ware anpreisen, alte Bettlerinnen bei der mühsamen Überquerung einer der vielen Brücken oder auch Musikanten, die wohl mindest so zerzaust spielen, wie ihre Haare gegen den Wind stehen. Die traditionsreiche Stadt Venedig veranstaltet schon seit hunderten von Jahren die Regatta Storica, die Festa del Redentore oder die vielen Sagre und ein Besuch dieser Volksfeste bleibt ein unvergessliches Erlebnis, denn die venezianische Heiterkeit und das fröhliche Lächeln der auf den Campi spielenden Kinder, das blieb auch den berühmtesten Besuchern Venedigs in Erinnerung: „Die Venezianer sind Ernst in ihrer Heiterkeit und heiter in ihrem Ernst. Sie suchen nichts und brauchen nichts, weil sie alles haben.“, schrieb Anselm Feuerbach 1855. Auf einem der Bilder trägt ein Blumenverkäufer, der eine schweren Korb geschultert hat, eine Margerite im Mundwinkel, wohl nicht nur eine Geste fürs Foto, sondern tatsächlich der Ausdruck eines Lebensgefühls.
Eine versunkene Welt voller Palazzi, türkisem Wasser, Kirchen, Türmen und antiker Säulen ersteht zu neuem Leben vor Ihrem geistigen Auge und wer genau hinschaut, wird das Venedig, das es immer noch gibt, auch in Venedig selbst noch entdecken.
Christian Brandstätter
Venedig
Die Welt von gestern in Farbe
Mit einleitendem Essay von Petra Reski