„Eine Stunde.
Eine Stunde mit ihm. Um mich in sein Lachen zu kuscheln,
seinen Haselnussduft zu atmen,
ihm beim Muskelaufpumpen und Ohrenwackeln zuzuschauen,
von ihm ‚mein Sohn‘ genannt zu werden und den Hals
nach draußen zu den Wolken zu recken. Nur eine mickrige Stunde.“
Diese eine Stunde im Leben eine Jungen wird in dem schon 2014 in Frankreich erschienenen traurigen und düsteren Bilderbuch erzählt, eine Stunde an einem Mittwoch zwischen 14 und 15 Uhr, als er seinen Vater, der zu einer sehr langen Gefängnisstrafe verurteilt ist, im Besucherzimmer des Gefängnisses gegenüber sitzt.
Es ist für den Jungen eine Stunde einer extremen emotionalen Achterbahnfahrt. Bourdier beschreibt seine Gefühle, Gedanken und Hoffnungen in knappen Sätzen und mit düsteren, farblosen und tief traurigen Bildern.
Einmal, als er sich vorstellt, nach der Entlassung des Vaters mit ihm ein Wettrennen zu veranstalten, keimt kurz so etwas wie Hoffnung, die aber sofort von der Erkenntnis zerstört wird, dass der Vater dann zu alt sein wird.
Der Junge lebt mit seiner Mutter ein armseliges Leben. Wenn er in ihrer Augen schaut, dann hasst er den Vater. In der Schule ist er schlecht und wird von den anderen Kindern gemieden und gemobbt. Sein Vater will, dass er besser in der Schule wird, dass er nicht so wird wie er selbst.
Als seine Mutter und der Jungen sich nach einer Stunde verabschieden, weint der Vater. Und der Junge versucht seinen Haselnussgeruch in der Nase zu behalten. Bis zum nächsten Mittwoch um 14 Uhr.
„Haselnusstage“ ist ein Wagnis. Ein mutiges, weil so tief trauriges und hoffnungsloses Bilderbuch, das den Blick öffnen und schärfen will für die Kinder, die schon zu Beginn ihres Lebens auf der Verliererseite sind, und dort wohl auch bleiben werden.
Emannuel Bourdier, Haselnusstage, minedition 2017, ISBN 978-3-86566-323-8
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2018-03-26)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.