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Marco Thomas Bosshard - Madrid – Eine literarische Einladung
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Bosshard, Marco Thomas - Madrid – Eine literarische Einladung bestellen
Bosshard, Marco Thomas:
Madrid – Eine
literarische Einladung

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(Bücher frei Haus)

Ganz unbescheiden erklärt der Protagonist in Hortelanos Kurzgeschichte „Die Hauptstadt der Welt“ Madrid zu eben dieser. Madrid habe seit dem Bürgerkrieg sechs Verwandlungen erfahren und die siebte, radikalste, stehe unmittelbar bevor. Silverio glaubte an „einen Geist der Stadt, an die Essenz eines Madrider Wesens, sogar an eine – obgleich verruchte und österreichisch geprägte – Madrider Musik“. Das Lebensgefühl der jungen Madrillenos XXXin dieser Geschichte ist die Erwartung, dass etwas Großes passieren werde und sie unmittelbarer Teil desselben seien. „Die übrigen Städte Spaniens und der anderen Kontinente waren gemessen an dieser Stadt keine Großstädte.“ Wer in Madrid lebe, lebe in der Hauptstadt der Welt und infolgedessen gebe es auch kein Ausland für die MadrillenosXXX. Hortelanos Erinnerungen an das Madrid seiner Jugend, das er hier elegant wiederaufleben lässt, schließt jedoch mit der traurigen Bemerkung, dass es dieses Madrid nicht mehr gebe, und es einem Madrid einer gefährlichen Ansammlung von Anregungen und einen Vorwand der Erinnerung gewichen sei. Madrid sei „ein Lagerhaus voller spinnwebenbedeckter Bilder, verschwommener Gefühle, beharrlicher Fehler, andauernder Unwissenheit und täglicher Rätsel.“ Doch man könne die Stadt auch immer noch als Zündsatz für eine Suche ohne Sinn (sic!) benutzen und versuchen deren Rätsel zu entschlüsseln...

Javiar Marias gelingt dies zum Teil in „Unwirkliche Stadt“, wenn er schreibt, dass Madrid keine durchschaubare oder zuverlässige Stadt wie etwa London, Venedig oder Paris sei, sondern in Madrid herrsche ganz im Gegenteil ein beträchtliches Ungleichgewicht zwischen seinem Ruf (spontan, ephemer, unbeständig) und dem, wie die Stadt sich dann tatsächlich darstelle. Madrid sei spröde und fiktiv und gleichzeitig müsse es sich um die wohl fleißigste und produktivste Stadt der Welt handeln. Ohne Superlative zu benutzen, lässt sich Madrid wohl nicht beschreiben.

In „Kaffeehausgespräche am Vorabend des Bürgerkriegs“ beschwört der junge Autor Juan Manuel de Prada die beiden Kontrahenten des Spanischen Bürgerkriegs. Da finden sich die Romantiker, die den richtigen Weg zur Eleganz über die Emotionen statt über den Intellekt suchen, neben den wildeschen Dandys, die Politik für das „Koffein der Schwächlinge“ halten. Die Geschichte, die für diese Ausgabe aus Pradas Roman „Galvez“ entnommen wurde kulminiert dann in dem „furchtbaren Gespann“ Galvez & Teresa, die die Dichtung für den Zustand der Erleuchtung halten und ihre Zuhörer mit Prostitution und Poesie zu Geldspenden erpressen.

Madrid zerstöre sich selbst, sie verstecke sich, damit kein Historiker ihre Spuren entdecken könne. Madrid sei die unkonservativste, offenste Stadt der Welt und nicht zu vergessen, die am wenigsten rassistische. Madrid habe keinen Respekt vor sich selbst und sie mache einem auch Angst, sorge aber auch dafür, dass man sie gleich wieder verliere, meint Carmen Martin Gaite in ihrem Beitrag „Wir sind alle aus Madrid“. Ähnlich betroffen macht einen Rafael Chirbes „Als Franco starb“. Hier wird das Vermächtnis der Diktatur offen gelegt wie eine klaffende Wunde der Zivilgesellschaft. Als Franco tot ist und ein öffentlicher Bus an dem Spital, in dem er starb, vorbeifährt, stimmen die Fahrgäste das Lied „Adieu von Herzen, die Seele schafft es nicht“ an, worauf der Chauffeur seinen Bus an den Straßenrand steuert und fluchend aussteigt: er hatte Angst, Geheimpolizisten könnten ihn dafür verantwortlich machen. Obwohl der Diktator tot ist, gibt es nur verhaltene Freude, nach fast vierzig Jahren „Umerziehung“ eigentlich keine Überraschung.

Auch der berühmteste spanische Regisseur Pedro Almodovar ist mit einer Geschichte in dieser Sammlung vertreten. Besonders hervorheben möchte ich noch die nicht mehr ganz so junge Autorin Lucia Etxebarria, deren Sprache dafür ums jünger wirkt. In „In Ekstase“ beschreibt sie das Elend jugendlicher Drogenabhängiger, die auf der Suche nach ihrem nächsten Kick in eine Polizeikontrolle kommen. „Ich sprang auf, als brenne die Bank unter mir“, ist nur eines der gelungenen sprachlichen Bilder, die diese Autorin benutzt. „Du bist ja schlimmer als der Priester im Puff“, oder „Sie war so faszinierend, so außerordentlich mächtig wie ein Schmetterling aus Stahl“. Mit dieser mächtigen Metapher könnte man wohl auch diese Stadt, die all dies beherbergt, treffend beschreiben.

Moderne Klassiker und zeitgenössische Texte wechseln sich ab und ergeben eine Art Panorama der Madrider Stadtliteratur des 20. Jahrhunderts. Auch wenn es noch kein Madrid gebe, das im literarischen Sinne begriffen worden ist, wie Javier Marias schreibt, ist diese in der SALTO-Reihe des Wagenbach Verlages erschienene Kompilation ein tatsächlich sehr guter Anfang. Im Anhang findet man auch Angaben zu Autoren und Quellen der verwendeten Auszüge.

Marco Thomas Bosshard/ Juan-Manuel Garcia Serrano (Hg.)
Madrid – Eine literarische Einladung

2008
Klaus Wagenbach Verlag
www.wagenbach.de
ISBN: 978-3-8031-1250-7
140 Seiten
15,90.-

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2008-12-06)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


->  Stichwörter: Spanien

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