„Vor Wut möcht‘ ich und Scham vergeh‘n,/Dass ich von Liebe zu dir spreche -/Doch meine Thorheit, meine Schwäche/Muss ich zu Füßen dir gesteh‘n./Das passt recht schlecht zu meinen Jahren!/Zeit wär's, vernünftiger zu sein!/Doch in der Liebe wohlerfahren,/Kenn ich auch ihrer Krankheit Pein:/Dir fern – muss ich voll Sehnsucht klagen,/Dir nah – muss schweigend dulden ich,/Und mächtig drängt‘s mich, dir zu sagen:/Ich liebe, holder Engel dich!“ So steht es in einem Gedicht von Alexander Sergejewitsch Puschkin, das in dem beeindruckenden norwegischen Monumentalwerk „Dina“ eine gewichtige Rolle spielt. Doch bevor Dina zu ihrem Liebesgeständnis kommt, muss sie sich selbst eingestehen: „Alle, die ich liebe, sterben, und die, die nicht sterben, töte ich.“
Die unfreiwillige Möderein
Bei einem Unfall in der Wäscherei kommt Dina’s Mutter um’s Leben und ihr Vater gibt ihr zeitlebens die Schuld dafür, obwohl sie doch noch ein kleines Kind war, als es geschah. Vorerst wird Dina von ihrem Vater zur Strafe total vernachlässigt und sie verwahrlost zusehends, bis Kollege Jakob (Gèrard Depardieu) Dina’s Vater warnt: „Sie braucht Hilfe!“ Erst jetzt engagiert er einen Hauslehrer für sie, der in der Person eines Cellistin bald die Faszination auslöst, die Dina als Ablenkung von ihrer Schuld genau braucht: Musik! Als gefeierte Cellistin unterhält sie bald die bürgerlichen Salons der Freunde ihres Vaters und reift zu einer wunderschönen Frau heran, die etwas eigenwillig und manchmal sogar brutal der engstirnigen Männerwelt ihrer Zeit die Stirn bietet. In der Mitte des 19. Jahrhunderts kannte man nämlich auch in Norwegen noch keine emanzipierten Frauen, aber Dina könnte zweifellos als eine erste Vorkämpferin bezeichnet werden,.
Eine richtige Frau
„Wage es nie mehr mich zu schlagen“, herrscht sie ihren Vater an und verpasst ihm einen so starken Hieb, dass er gegen die gläserne Bücherwand fliegt. Als ihr Haus- und Cellolehrer sie auf Geheiß ihres Vaters verlassen muss, erwürgt sie ihn fast mit seinem eigenen Schlips. Doch dann heiratet sie doch Jakob, den Freund ihres Vaters, der mindestens doppelt so alt ist und den sie vor der versammelten Dorfgemeinde bloßstellt. Er muss nämlich schwören, sich nie mehr wie ein verrückter Stier zu benehmen. Aber bald übernimmt ohnehin Dina die Führungsrolle im ehelichen Schlafzimmer und Jakob ermattet zusehends. Er kommt tagelang nicht mehr nach Hause und verkriecht sich, „wie ein altes Pferd, das nicht mehr geritten werden will“, klagt Dina bald. Doch dann stürzt er vom Dach und verletzt sich das Bein. „Der Gestank verbreitete sich wie ein boshaftes Gerücht.“, erzählt man sich jetzt und bald schiebt sie Jakob dann genau über die Klippe, an der sie selbst saß, nachdem das mit ihrer Mutter passiert war. Eine sehr düstere Szene mit viel Schneefall und richtig gruselig. Ganz großes Kino.
Ein richtiger Mann
Dann gibt es da noch den Stallburschen Thomas, den Dina vergewaltigt und die Magd Stina, die vom Adoptivsohn Jakobs, Neils (Mads Mikkelsen) vergewaltigt wird und das Testament ihres Cellolehrers, Chris Lorch, erreicht Dina nur mehr als Brief: „Suchen dir einen Mann, der dir hilft, in einer Welt zu leben in der es keine Geister gibt. Sei niemals so einsam wie ich es war. Denn ich habe nur einen einzigen Freund, den Tod. Er liegt hier neben mir im Bett, treu bis an das Ende und sein kalter Atem lässt meine Augen tränen. Dina, spiel für mich!“ Als Feuer am Dach des Stalls ausbricht, weil Benjamin, der Sohn von Dina und Thomas, dort eine Zigarre geraucht hat, rettet ein Fremder die Pferde. Das Moment der letzten Spannung, die Peripetie wurde schon durch den Brief Lorchs vorweggenommen, denn der geheimnisvolle Fremde ist jener, den sie schon in der Stadt bei der Hinrichtung eines Anarchisten gesehen hatte. Leo Zjukowski (Christopher Ecclestone) wird der erste Mann der ihrem bestechenden Charme widerstehen kann, denn er hat etwas, das ihm wichtiger ist, als eine Frau in seinem Leben zu finden: seine Mission. „Zufällig bin ich einer der ersten meiner Generation, während Sie eindeutig die letzten der ihren sind“, sagt er bei einem Salongespräch mit den Freunden von Dina’s Vater und fügt hinzu „Eigentum kann man nicht stehlen, Eigentum ist Diebstahl.“ Auch Leo ist Anarchist und auf Dina’s Anschuldigungen kann er nur erwidern: „Spaß? Viele tausend Menschen verhungern und wir stehen hier rum und plaudern über dein gebrochenes Herz.“
“Ich will deine Mission sein.“
Aber mit den Worten „Ich werde dich immer wieder verlassen, aber ich komme immer wieder zurück.“ kann er Dina endlich von ihrem Fluch befreien und so wird aus der verruchten „Gottesanbeterin“ eine liebeshungrige Witwe, die haucht: „Ich will deine Mission sein.“ „Das Buch Dina“ von Herbjørg Wassmo wurde hier kongenial mit brillanten internationalen Darstellern verfilmt, auch wenn der Regisseur Ole Bornedal in den „Extras“ einräumt, dass Buch und Film zwei grundsätzlich verschiedene Medien seien. Besonders bemerkenswert sind die schauspielerischen Leistungen von Maria Bonnevie als Dina und Mads Mikkelsen als Neils, denn der Antagonismus der beiden Erben von Jakob’s Vermögen wird ausgezeichnet vermittelt und während Dina zusehends in ihrer neuen Rolle aufgeht, verfällt Neils bald komplett. Abgesehen von diesen unglaublichen darstellerischen Leistungen, ist dieser Film aber auch durch seine dichte Atmosphäre und seine traumhaften Landschaftsaufnehmen ein absolutes Muss für jeden Cineasten und trotz einiger Fantasy-Elemente ein wirklich ernstzunehmendes Statement wunderschön verfilmt.
Ole Bornedal
Ich bin Dina (Norwegen, 2002)
DVD von Filmconfect 2013
117 Minuten Mit Maria Bonnevie, Gèrard Depardieu, Christopher Ecclestone und Mads Mikkelsen
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2013-03-20)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.