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Horst Bork - Falco: Die Wahrheit
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Bork, Horst:
Falco: Die Wahrheit

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(Bücher frei Haus)

Eigentlich hatte er einen schlechten Geschmack sowohl was Anzüge als auch was Frauen betraf. Dafür verstand er es, stets den richtigen Ton zu treffen, musikalisch. Im Privatleben vergriff er sich dann eher darin, im Ton. Er wünschte sich ein spießiges, bürgerliches Leben mit Frau und Kind und Schloss am See, aber dieses Glück war bisher wohl noch keinem echten Künstler beschieden. Welche Ehefrau könnte auch auf Dauer ein so ausschweifendes Leben wie zumindest Popstars auf Tourneen es führen akzeptieren? Was wir in Horst Borks Biographie nicht erfahren, ist der eigentliche Grund von Falcos Leiden, warum wurde er zum Alki („Einmal g`spritzt und einmal klar“, heißt es in „America“) und vielmehr noch zur tragischen Figur, zum tragischen Helden? Warum werden Künstler überhaupt zu Drogensüchtigen? Etwa gerade weil sie sich kein bürgerliches, „normales“ Privatleben erlauben können? Weil dieses ganz alltägliche Bedürfnis ihnen für immer verwehrt bleibt? Sicherlich haben Künstler wie Falco viel mit Jesus gemeinsam: sie geben alles und bekommen nichts. Nur eine schlechte Nachrede. Sie lassen sich ebenso ans Kreuz schlagen und ebenso oft kommt es nach dem angesagten Tod dann überraschenderweise wieder zu einer Auferstehung. Zumindest zu einer kommerziellen. Denn die Person Johannes „Hansi“ Hölzel bleibt wohl weiterhin ein Geheimnis, aber vielleicht kann das ja „Falco: die Wahrheit“ ändern!

JH – ein typischer Österreicher?
Die Amis und die Piefkes soll er gehasst haben und stets einen lockeren Schmäh über deren ihre Angewohnheiten geführt haben. Wer die Biographie aufmerksam liest, wird auch verstehen warum: Falco verdankte ausgerechnet seinem Manager, einem Deutschen, und den Amerikanern für „Amadeus“-No.1 seine größten Erfolge. Auch ohne den New Yorker DJ und „Bruder im Geiste“ Afrika Bambaataa wäre der Kommissar wohl nie so bekannt geworden, was sicherlich – so wie Milos Forman`s Amadeus – auch Falcos No.1 Hit in den USA mitvorbereitete. Diese Erfolge waren aber auch sein größter Ruin, wie Horst Bork bemerkt. Die „Kasroller“ (O-Ton Falco) Bolland & Bolland hatten seinen größten Hit und viele andere für ihn geschrieben, natürlich hasste er deswegen bald auch die Holländer, allesamt. Als typischer Österreicher hatte er aber nicht nur gegen die Holländer seine Vorurteile, seine Vorliebe für Schubladendenken insgesamt wird übrigens auch von seinem Manager im Buch kritisiert. Auch in seinem Privatleben verfolgte Hans Hölzel übrigens eine typisch österreichische Strategie: er wollte trotz seiner vielen Affären eine klassische Kleinfamilie und eine Frau, die ihn zu Hause erwartete und auch seine Extravaganzen mitmachte. Zudem – ebenfalls typisch österreichisch – will der Künstler alles allein gemacht haben. Horst Bork schreibt in der Biographie, dass es darüber eine Abmachung zwischen ihnen gab: in der Öffentlichkeit sollte das Bild entstehen, dass Falco gar keinen Manager brauchte und immer im Alleingang entschied, was zu tun und zu lassen sein. Also auch hier der typische österreichischen Größenwahnsinn eines Kleinstaaters, besser vielleicht noch eines Wieners, denn dieser Stadt verdankte er alles und wollte sie auch eigentlich nie verlassen. Als er auf dem Höhepunkt seines Erfolges stand und ein Umzug nach Amerika für seine Karriere opportun erschienen wäre, vermasselte er alles und vergraulte sage und schreibe 6 Millionen Euro Vorschuss des Virgin-Bosses Robert Branson und wollt dann auch nicht mehr in die USA umziehen. Natürlich konnte ihm das weder sein Manager noch er sich selbst je verzeihen. Falco war vor allem grandios in einem: im Scheitern. Ein typischer Österreicher eben.

Da Kommissar Sigmund Freud
Will man seinem Manager Horst Bork die Ehrlichkeit nicht absprechen, muss man bald einsehen, dass man es bei Johannes Hölzel mit einer hochgradig verkorksten Persönlichkeit zu tun gehabt hat, die nicht nur ausgeprägt manisch-depressiv war, sondern zudem auch noch Borderliner. Diese Begriffe werden von Bork, der seinen Schützling übrigens immer wieder gegen Angriffe von außen verteidigt und sich schützend vor ihn stellt, zwar nicht verwendet, aber ein bisschen Psychoanalyse hätte Falco vielleicht doch helfen kommen, schließlich kommt er ja aus Wien und ist nach Sigmund Freud wohl das bekannteste Kind dieser Stadt, abgesehen von Mozart natürlich. Warum hat Falco eigentlich nie ein Lied über Freud geschrieben? Aber vielleicht meinte er ja ihn, wenn er sang: „Drah di ned um, oh oh, schau schau der… geht um! Wann er di anschaut und du frogst warum, sog ihm dei Lebm bringt di um…“. Nachdem der Vater die Familie Hölzel verlassen hatte, übernahm die Mutter die leitende Funktion und - Ödipus schau oaba – natürlich verliebte sich der kleine Hansi in seine Mutter. Sein Leben lang blieb diese starke Figur seine Bezugsperson, das weiß auch Horst Bork, aber ist es denn möglich, dass niemand anderer in Falcos Umgebung die Gefahren dieser Mutterfixierung erkannte? Wie kann ein halbwegs vernünftiger Mensch seinen Erfolg eben gerade nicht wollen? Wenn man Bork liest, muss man immer wieder feststellen, wie sehr sich Falco gegen seinen Erfolg und die darauf folgende Erwartungshaltung der anderen und die damit verbundene Verantwortung wehrte. Bork hatte für Falco sogar ein Madonna-Duett arrangiert, was Falco mit seinem „Was soll i denn mit der singen?“ ebenfalls vermurkste, um wenig später ein Lied mit Brigitte Nielsen einzuspielen: ich sag`s doch, er wollte scheitern! Selbst nach seiner No.1 in Amerika ergriff er die Flucht in die Einsamkeit seiner vier Wände. Er konnte den Erfolg nicht ertragen, sich nicht darüber freuen und statt die Früchte zu ernten, die er ausgesät hatte, versoff er deren Rebsaft. John Cale würde sagen: „He was dying, dying on the vine“, er starb an der Rebe, der junge Wein, starb, noch bevor er richtig geerntet werden konnte. In seinem Fall war es zwar eher der Whiskey, also Getreide, aber „what shalls“, wie man Neudeutsch sagt. O-Ton Falco diesbezüglich, 1992: „Mir ging es beschissen, als ich getrunken habe, und mir ging es beschissen, als ich nicht getrunken habe, also saufe ich weiter.“

Excess was his Success
Auf jeden Erfolg folgte also der Exzess, wobei Bork die genaueren Gifte mit denen sich der Herr Hölzel sein Leben versaute eher nur am Rande erwähnt. Sein Hauptproblem war laut Bork der Whiskey, aber auch die Pülverchen aus der Arztapotheke, Pillen en masse, ganz zu schweigen, was „der Mann mit dem Koks“ alles noch so vorbeibrachte. Vierzig bis sechzig Zigaretten pro Tag gehörten zu Hölzels Durschnittskonsum, ein Laster, das er vor seinem Tod noch loswerden sollte, dafür erdrückten ihn all die anderen „Mother`s little Helper“ ohne die er bald nicht mehr auskommen konnte, wohl selbst dann nicht, als er sich vom Saulus zum Paulus gewandelt hatte, wie Bork argwöhnt. Zum „Exzess“ des Künstlers gehörte sicherlich auch seine zur Schau getragene Arroganz und die „unaufgeregte, fast gelangweilte“ Art und Weise wie der Künstler sich gebärte, stets „sehr höflich, ungeheuer charmant, aber auch sehr bestimmt und keinen Zweifel daran lassend, das alles so passieren würde wie er sich das vorstellte“, wie Bork schreibt. Diese „vorgetäuschte Teilnahmslosigkeit“ war aber – laut Bork - nichts anderes als eine „Tarnung, ein Schutz vor der großen Enttäuschung, falls die hochgesteckten Ziele nicht erreicht werden sollten“. Der Wiener Schmäh und sein für MTV erfundenes „Manhatten-Schönbrunner-Deutsch“ a là Oskar Werner trugen sicher ihr übriges dazu bei, dass der „pedantische Ordnungsliebhaber“ (O-Ton HB) Hölzel seinen Horst bald verlassen würde und zum exaltierten und internationalen Superstar Falco werden sollte. Falkenhorst folgte!

„Ob es sich überhaupt lohnt, meine ganze Substanz in den Scheiß zu investieren“
Misstrauisch soll er gewesen sein und nur sehr wenig von sich preisgegeben haben. Seine „Substanz in all den Scheiß zu investieren“ machte ihm mehr als einmal Kopfzerbrechen. Irgendwie war er doch zu gut für diese Welt und nicht mal der Horst in seinem Falkenhorst konnte ihn wirklich verstehen. Falco hatte vor allem Angst, seinen eigenen, an ihn selbst gestellten Ansprüchen nicht genügen zu können. Horst „Kassandra“ Bork wusste schon 1982, dass da in seinen Händen eine Zeitbombe tickte und er sich ihrer Explosion nur entziehen konnte, indem er sie zündete und danach möglichst weit wegwarf. Aber ihre Geschäfts-Beziehung sollte dann doch noch bis Anfang der Neunziger dauern, erst dann konnte er sich von seinem Schützling zumindest geschäftlich trennen. Denn Freunde blieben sie – laut Bork – ihr Leben lang. Vielleicht war genau das auch ihr Dilemma, dass nämlich gegen den Manager immer der Freund siegte, sonst hätte er vielleicht viel früher die Notbremse gezogen oder wäre wie Robert Cappa („Kamikaze Cappa always on the road, Kamikaze Cappa ein Bild für den Tod“) selbst auf die Tellermiene gestanden. Der Manager musste 1988 auch erkennen, dass er selbst sich längst zu seinem Nachteil verändert hatte, seine Gelassenheit war ihm abhanden gekommen, er war ungeduldiger und recht launisch geworden (O-Ton Bork). Wenn man bedenkt, dass er zu dieser Zeit auch andere Bands managte und mit denen viel leichteres Spiel hatte als mit unserem schwierigen Enfant terrible Falco muss man ihm schon Respekt zollen und sieht ein, dass er es wohl nicht nur des Geldes wegen getan haben kann. Denn mit Edelweiss oder Bingo Boys verdiente er ja schon an amerikanischen No.1 Tantiemen, aber wen interessiert das eigentlich in einer Falco-Biographie? Als Freund meinte es Bork wohl ehrlicher denn als Manager, denn als solcher hätte er Falco längst einen Tritt in seinen wohlverdienten Hintern geben müssen. „How I learned to love the Bomb“ wäre also wohl ein treffenderer (oder soll ich sagen: treffsicherer) Untertitel für seine Falco-Biographie gewesen.

„How I learned to love the Bomb“
Meine eigene Beziehung zu Falco hat sich durch das Lesen dieser Biographie zwar nicht wirklich verändert, aber sicherlich vertieft. Wenn mir auch der Mensch Hansi „Poltergeist“ Hölzel immer noch nicht einleuchten will, da hilft auch mein ironisch verfasster Freud-Kommentar nicht, habe ich den Künstler umso mehr schätzen gelernt, vor allem eben den Österreicher in ihm. Denn jeder andere stromlinienförmige Geldscheffler hätte sich den Markterfordernissen gerne und schnell angepasst und eine zweite No.1 in Amerika mit mehr Zielorientiertheit angestrebt. Statt sich vollaufen zu lassen und die Geschichte seiner Tochter in die Welt hinauszuposaunen (nach einem Vaterschaftstest stellte sich heraus, dass es die Tochter von Isabellas Ehemann oder sonst wem war), warum hat er sich nicht einfach auf seine Hinterbeine gestellt? Er wollte wohl scheitern. Sein Diätprogramm und neues Credo, „ich geh in die Sauna, da schwitz´ ich den ganzen Dreck wieder raus“ konnten ihn im letzten Stadium auch nicht mehr helfen, geschweige denn der Glaube an seine eigene Genialität („Was ich singe, muss nichts heißen, weil ich nie etwas sagen wollte“). Humor hätte er allemal genug gehabt, zum Überleben, etwa wenn er eines seiner Statements mit „General Ideological Instructions“ übertitelte und das Leitprogramm für seinen zukünftigen Erfolg u. a. so formulierte: „Wir wünschen uns knackige, zugängliche `Oberflächlichkeit´, deren Tiefe erst erkennbar wird, sobald es die Spatzen von den Dächern pfeifen“. Aber es schwant einem Schlimmes, wenn Horst Bork am Ende seines „1991“er Kapitels schreibt: „Der Hans-Anteil an Falco hatte sich beträchtlich dezimiert“. Eine Bombe muss eben explodieren und das noch dazu mit viel Lärm!

Auf der Flucht vor sich selbst
Natürlich will ich dem Biograph nichts unterstellen, aber dass der tragische Niedergang seines und unseres Helden („Alles wartet, alles wartet/Auf die Helden von heute“) gerade in dem Moment unaufhaltbar wird, als er ihn verlässt, das klingt doch zu sehr nach einer Beichte oder schlechtem Gewissen. Sicherlich trifft Horst Bork keinerlei Schuld an Falcos Tod, das wäre ja noch schöner, im Gegenteil: hätte er sich früher von ihm getrennt, wäre dieser vielleicht schneller zur Einsicht gekommen? Nein! Denn Falco wollte scheitern, er wollte keinen Erfolg haben, der eine No.1 Hit war ihm schon zu viel, seine „bornierte Eitelkeit“ machte es ihm sicherlich nicht leicht, sich damit abzufinden, dass sein größter Triumph eben auch seine größte Niederlage war. Denn ab jetzt erwartete die Welt etwas von einem, der ihr gar nichts mehr geben wollte. Der „Phlegmatiker vor dem Herrn“ (O-Ton HB) hatte eigentlich gar keine Lust erfolgreich zu sein und der Borderliner in ihm („Ich möchte ununterbrochen sehen, wie weit ich gehen kann und ob ich damit durchkomme“) forderte dies immer wieder aufs Neue heraus. Seine „schillernde Persönlichkeit“ war immer wieder für eine Überraschung gut, das einzig Planbare an ihm, sei das Unvorhergesehene gewesen, schreibt Bork. „Den Momenten seiner größten Triumphe folgten oft Tage tiefer Depression und Antriebslosigkeit.“, weiß Bork, er war eben sein Leben lang auf der Flucht vor sich selbst, wie es auch in seinem besten Text (da stimme ich mit Bork übrigens überein) und Lied „Auf der Flucht“ heißt: „West-Berlin neunzehnhundert-sechzig-sieben/Erster Eindruck, grüne Minna/Straßensperre gegen Spinner/Habt ihr Bock auf ne Tracht Prügel/Wir bedienen Euch nicht übel/Ecke Joachimstaler / Ku`damm ein Exzess/Wer das Gas als letzter riecht/Hat als erster den Prozess/Ganz Berlin ist eine Wolke/Und man sieht sich wieder mal auf der Flucht… auf der Flucht“.
Was natürlich alles nichts daran ändert, dass Falco der größte Superstar aller Zeiten bleibt. In Österreich.

Horst Bork
Falco: Die Wahrheit
Wie es wirklich war – sein Manager erzählt

Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag
ISBN: 978-3-896029218
352 Seiten
19,90.-

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2010-04-04)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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