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Marica Bodrozic - Sterne erben, Sterne färben

Meine Ankunft in Wörtern

"Schmetterlingsflattern in der Kehle, an der Stelle, an der die Wörter aufkommen, wie Wellen am Strand." Wie könnte man den Gegenstand dieses Werkes plausibler vermitteln als ein bekanntes Beispiel wie Sartres "Die Wörter" heranzuziehen. Worum geht es also? Um Wörter, Sprache, Sprache erlernen, durch sie in eine Kultur hineinwachsen, über sich hinauswachsen, bis hin zum höchsten aller Sprachziele - SchriftstellerIn werden. Da haben wir also das erste zentrale Thema. Im Vergleich zu Sartres "Die Wörter" wird ein Unterschied jedoch gleich ganz deutlich: Bodrožić Ankunft in Wörtern baut nicht auf Überheblichkeit und Selbstüberschätzung auf, wie sie sich in Sartres Werk mit frühster Kindheit manifestieren, sondern auf Zurückhaltung und Bescheidenheit.

Woher rühren diese Attribute? Ein kleines Mädchen, aufgewachsen bei dem Großvater, wird 1983 von ihren Eltern nach Deutschland geholt, die dort schon längere Zeit als Gastarbeiter Geld verdienen, für sich und die im kommunistischen Jugoslawien lebenden Angehörigen. Hier muss es sich, ob es will oder nicht, integrieren.
Und es will, findet sogar große Freude daran, im Speziellen durch das Spiel mit den neu zu erlernenden Wörtern und letztlich, losgelöst von jeglichem Integrationsgerede, an der Sprache selbst. Ja, warum soll man es also nicht so sagen: dieses Buch ist eine Liebeserklärung an die Deutsche Sprache. Und wer ist im Stande, zu solch einer Offenbarung? Menschen wie Bodrožić, die durch eine Vielzahl verschiedenster Eindrücke nichts als selbstverständlich voraussetzen und fähig sind, Kontraste innig wahrzunehmen.
Dabei jedoch wird sie eins niemals vergessen oder verwerfen - denn das würde einer Leugnung der eigenen Persönlichkeit gleichkommen - wo sie herkommt und was sie in ihrer frühsten Kindheit geprägt hat. "Als Kind leidet man auch nicht an einem System, man macht es mit, will es verstehen und sogar gut beherrschen."

Damit wären wir beim zweiten zentralen Thema angelangt: Jugoslawien und die Folgen des Umbruchs. Die Schriftstellerin lässt uns teilhaben an den Empfindungen einer ehemaligen Jugoslawin (dalmatinischer Herkunft), die in den Jugendjahren aus der Ferne den Zusammenbruch ihrer einstigen Heimat erleben muss. Ein bewusstes Miterleben, selbstredend jedoch anders als für die Menschen, die sich direkt im Kriegsgebiet befinden, darunter auch viele Familienangehörige. Mit Distanz schaut die Autorin auf die Hassattitüden, ohne untermauernde Argumente zu liefern, welche die Gräben noch vertiefen könnten. Im Gegenteil. Ihr großer Verdienst ist es, einen versöhnlichen Ton anzuschlagen, indem sie, untermauert durch Rückblicke, die Gemeinsamkeiten freischaufelt, die tief im Hass verschüttet zu liegen scheinen. Sie appelliert an die Herzen der Menschen. Das tut sie niemals direkt, auf dieses Podest stellt sich diese kluge Frau nicht. Aber es schwingt immer irgendwie mit, sich doch der Gemeinsamkeiten bewusst zu werden. Wären alle Menschen des ehemaligen Jugoslawiens so vernünftig emotional gewesen wie Bodrožić, es wäre auf dem Balkan vermutlich nicht zu einer solchen menschlichen Katastrophe gekommen.

Zu wenige waren es oder zu viele waren es zu spät, wie so häufig in der Geschichte. Ebenso wenig, wie man Bodrožić als ein verallgemeinerbares Beispiel für das Hineinwachsen in eine deutschsprachige Kultursphäre heranziehen kann.
Doch dann wäre kaum solch eine rührend zeitgeschichtliche Betrachtung und poetisch biographische Erzählung entstanden. Eine Erzählung wie eine Knospe, die sich im Sonnentau zur Blüte öffnet.


Marica Bodrožić wurde 1973 in Dalmatien (im heutigen Kroatien) geboren. 1983 wurde sie von ihren Eltern nach Deutschland geholt. Sie studierte Kulturanthropologie, Psychoanalyse und Slawistik in Frankfurt am Main und lebt heute als freischaffende Schriftstellerin in Berlin. Für ihr Debüt "Tito ist tot" erhielt sie 2002 den Heimito von Doderer-Literaturpreis.

[*] Diese Rezension schrieb: Alexander Czajka (2007-12-03)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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