Sich über das Alter Gedanken machen, das tun für gewöhnlich nur die Alten. Aber auch junge Menschen sind damit konfrontiert, etwa wenn sie die Alten pflegen oder einmal einen Moment innehalten und darüber nachdenken, was denn einmal aus ihnen werden wird. Man kann es so machen wie Norberto Bobbio und Tagebuch schreiben, „um sich Luft zu machen oder um über begangene Fehler nachzudenken oder eine schlechte Gewohnheit festhalten, um sich davon zu befreien“. Es genüge aber nicht zu sagen „homo cogitat“. Der Mensch der wirklich denkt, schreibe nämlich Briefe an seine Freunde, so sein Kollege Guido Ceronetti. Es mag sein, dass ich die Arroganten, die Draufgänger, die allzu Selbstsicheren bewundere, aber sie gehen mir auf die Nerven.“ Sich selbst hat er ohnehin immer als einen „Mann des Dialogs (und) nicht der Kontroverse“ beschrieben, so Bobbio. Von einem gewissen Alter an falle es schwer, seine Meinung zu ändern und sei immer misstrauischer gegenüber dem Neuen. „Optimismus als den schlimmsten Feind der Menschheit“zu bezeichnen entspreche schlicht und einfach der Weigerung zu denken, aus Angst vor den Schlussfolgerungen zu denen man gelangen könnte“, so Nicola Chiarmonte, ein anderer Zitatenlieferant für Bobbio‘s Vorwort „An mich selbst“.
Die vierte Lebensverlängerung
Wer früher vom Alter geschrieben hat (Cicero schrieb „De senectute“ 44. Chr. im Alter von 62), war noch nicht mal im Pensionsalter und wer heute darüber schreibt ist eigentlich schon ein Greis, so Bobbio der eine vierte Lebensverlängerung vermutet und nunmehr von den „très agé“ als Betroffener sprechen möchte. Als „alter Alter“ (sic!) hatte er sich auch bei den Protestbewegungen der Sechziger gegen die Generation der Väter aufgelehnt, um nunmehr selbst die Krise des biologischen Alterns überwinden zu müssen. Heute wüsste aber auch die junge Generation mehr als die alte und hinzu komme noch die generelle Missachtung des Wissens der Alten, das für die heutigen Jungen sehr antiquiert wirken müsse. Das Heute werde durch viele Meister, aber keine Lehrer gekennzeichnet.
“Was du gefunden?, wonach du gesucht?“
„Flüchtig ist die Jugend/ein Atemzug die Reife/furchtbar naht/das Alter und dauert/eine Ewigkeit“, zitiert Bobbio Dario Bellezza, der das Leben im Alter dank der technischen Fortschritte und Medizin als „Nicht-Sterben-Können“ empfindet. Das Altern wird eben zunehmend auch als Last empfunden, als „Warten auf das Nichts“, wie Bobbio andere Zeitzeugnisse zitiert: „Ich kann mir keinen Gott vorstellen, der so gnadenlos wäre, jemanden aufzuwecken, der todmüde zu seinen Füßen schläft“. Dylan Thomas kennt die Antwort des Alters auf die Jugend allzu gut: „was du gefunden, wonach du gesucht“.
Trost für das „melancholischer Alter“
Am Ende bist du das, was du gedacht, geliebt, vollbracht hast“, schreibt Bobbio und fügt dem noch etwas Wesentliches hinzu: du bist das, was du erinnerst. „In der Erinnerung findest du trotz all der vielen Jahre, die du gelebt, trotz der unzähligen Ereignisse, die du erlebt hast, dich selbst wieder, deine Identität.“ Das „melancholische Alter“ nennt Bobbio die Phase seines Lebens, aber die Melancholie werde durch die Beständigkeit der Gefühle von Liebe und Zuneigung, die die Zeit nicht abnutzen konnte, gemildert.
Norberto Bobbio
De Senectute
Wagenbach Verlag
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2015-07-14)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.