Musik liegt in der Luft, nicht erst in den modernen Zeiten und nicht zu bestimmten Jahreszeiten oder Gefühlszuständen.
Dass die Beatlesmania bereits zu Zeiten von Franz Liszt Gang und Gäbe war und nicht nur Liszt selber, sondern auch seinem Vorgänger und knapp noch Zeitgenossen Paganini zu Teil wurde, ist dabei nur eine der erhellenden Erkenntnisse (und diese gar nur am Rande), die das Buch in den Raum setzt in seiner Absicht, sich mit Status, Ziel und Zweck, Ort und Raum, Technik und Emanzipation der Musik und ihrer Künstler auseinander zu setzen.
Vom fast eingesperrten Händel der frühen Jahre bis hin zu Brain May mit der E-Gitarre auf dem Dach des Buckingham Palastes reicht die Spanne an musikalischen Entwicklungen, die der Autor hierbei vor Augen führt.
Aus der begleitenden Funktion der Musik wurde im Lauf der Jahrhunderte eine zentrale Stellung der Musik im kulturellen Gefüge und Erleben menschlicher Zivilisation. Warum das so ist und, vor allem, wie sich der Bereich der Musik in dieses Zentrum hinein bewegt hat, davon berichtet der Musikhistoriker Tim Blannung in eingängiger, amüsanter und umfassend gebildeter Weise mit einer leicht verständlichen, bestens gewählten Sprache.
Vom Musiker als Funktion, eher ein Lakai, über die ersten Stars der Musikszene im 18. Jahrhundert über Dirigenten von Weltruf im 19. und 20. Jh. bis hin zu den Megastars modernen elektronischer Musik wie Bono, deren Einfluss weit über die Bühne hinaus in die Mitte der Gesellschaft reicht (wunderbar herausgearbeitet der Wählervorteil, den sich Tony Blair mit seiner engen Verbindung zu Rock und Pop Größen erwirtschaftet hat) reicht die Geschichte der Entwicklung der Musik und der ihr verbundenen Personen.
Wie sehr im Lauf der Zeit der rechte Ort und die Öffentlichkeitswirksamkeit als Faktor der Entwicklung hinzutraten, erläuter Blanning eindrücklich am Beispiel Bachs, der, in Leipzig, einfach am falschen Ort, den wohl größten Musikgenius aller Zeiten in seiner Person beinhaltete und dennoch lang in Vergessenheit geriet. Eben am falschen Ort, nicht so wie Händel und Haydn in London oder Wien.
In fünf Kapiteln und damit Betrachtungsweisen legt Tim Blanning seinen Blick auf die weltbewegende Kraft der Musik vor. Den Künstler betrachtet er in der Entwicklung seines Status in der Gesellschaft vom Lakaien bis zum Star. Die Kunst der Musik selber und ihre immer weiter um sich greifende Bedeutung für das gesellschaftliche Leben widmet er sein zweites Kapitel auf der Blaupause der Romantik bis in die Gegenwart hinein. Orte und Räume bestimmen das dritte Kapitel und zeigt auf, wie der Weg vom privaten Separee des Fürsten über Kirchen, säkulare Konzertsäle bis in die Stadien unserer Zeit reicht, bevor er im vierten Kapitel das Instrument und die Technik mit umfassendem Wissen, immer wieder auch mit amüsanten Formulierungen und Anekdoten gewürzt, in seiner Entwicklung zeigt.
In seinem letzten, abschließenden Kapitel wird die nationale Entwicklung und Bedeutung der Musik samt der folgenden Emanzipation der Musik gewürdigt. Manche Musikstücke (Elgar, Rule Britannia u.v.m.) sind nie Nationalhymnnen geworden, geben aber bis in die heutige Zeit einem Nationalgefühl starken Ausdruck und sie zutiefst im jeweiligen Volk verankert.
Jederzeit auf der Höhe des Themas, versehen mit einer Fülle von bekannten und, oft, wenig bekannten Informationen, auch in der Lage, einzelnen Musikstücken in ihrer Intention und Rezeption gerecht zu werden bereitet das Buch ohne Schwachpunkte Freude.
Hierfür ist mitentscheidend, dass Tim Blanning nicht an einem einzelnen Strang, einer Musikrichtung oder einer Persönlichkeit verharrt, sondern die tatsächliche Breite musikalischen Schaffens vom einfachen Lied über die Oper und Sinfonien bis hin zum Jazz, Rock und Pop der Moderne und Postmoderne darlegt. Ohne, dass er seinen roten Faden verliert und damit den Leser mit auf jene Reise nehmen kann, die aufzeigt, wie sehr alles musikalische Schaffen miteinander verwoben ist und sich gegenseitig bedingt.
[*] Diese Rezension schrieb: Michael Lehmann-Pape (2010-09-29)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.