„Protokolliere. Meersalz versengt alles, was es berührt. Es dringt ein in Gewebe und Organe und lähmt alles, auch das Gehirn. Protokolliere weiter, man gewöhnt sich daran.“ Eine Klimakatastrophe, die sich großkotzig „Blutsturz“ nennt, hat die Erde zu einer einsamen salzigen Meereswüste verkommen lassen. Die Suche nach Trinkwasser ist demnach das wichtigste Thema für die wenigen Überlebenden, die sich auf der Straße S17 ins Eldorado befinden, von dessen Existenz es allerdings keine Beweise gibt. Vielleicht gibt es aber sogar noch mehrere solche Orte, wo die Menschheit genesen und überleben könnte, der einzige Weg führt aber über das Meer, dessen salzhaltiges Wasser nicht nur ungenießbar ist, sondern auch die trübe Stimmung dieses Endzeitcomics beherrscht. Die Farben sind auf ein bläuliches Grau reduziert, ab und zu etwas Rot, aber hauptsächlich ein düsteres, alles, auch die Gedanken und Zitate durchziehendes einziges Grau. Es gibt kein blaugrünes Meer, wie man es aus dem Süden kennt, sondern mehr eine Eiswüste, polarische Stimmung, Antarktis, Eisbären. Durch die Luft fliegen Schildkröten und Wale, die plötzlich aus dem Meer auftauchen, um Sauerstoff zu schnappen. Selbst ihnen scheint das Meer zu salzig zu sein. Oder einfach nur zu grau.
Strada del Sole
Die wenigen Überlebenden, die sich in diesem Comic auf der Sund S17 begegnen, sind allesamt sonderbare Gestalten, wie man es von Bilals Protagonisten gewohnt ist, ein Haufen Individualisten ohne Gemeinschaftsgefühl. Gibt es am Ende der Straße in den Süden, der Straße in die Sonne, vielleicht doch etwas Farbe? Die Protagonisten wissen es nicht. Da wäre einmal der dunkle Reiter auf dem Zebra, der nur so mit Zitaten um sich wirft, Hut trägt und sich am Ende durch seine eigene Kugel in einem Duell gegen sich selbst richtet. Es war wohl ein Zitat zu viel. Dann gibt es noch diesen anderen Mann mit Hut, Frank Bacon, der sein Schiff einsam durch das raue Nordmeer steuert und als einzige Gesellschaft einen kleinen Seepferdchenroboter bei sich hat. Auch die Frau, Louise, hat so einen Diener, der sieht allerdings eher wie eine Krabbe aus und heißt passenderweise Omar, er macht ihr nicht nur das Frühstück, sondern warnt sie auch vor Zusammenstößen mit anderen Schiffen. Ein Delphinmensch (Mutationen sind in der von Bilal skizzierten Zukunft alltäglich, da sie das Überleben sichern) kracht ihr jedoch bald auf die Schultern und tötet sie aufs Versehen. So wird Omar eben umprogrammiert. Ein Diener vieler Herren.
„Schweigen ist eine der großen Künste der Konversation“
„Sie merken alles, wie? Darf ich mich vorstellen – Lester Outside, Gelegenheitsrumtreiber“ „Aha. Kim Owles, Gelegenheitsrescuegirl.“ Na, wer möchte nicht von der ostasiatischen Schönheit aus dieser Eiswüste gerettet werden? Das weitere Ensemble dieses fantastisch gezeichneten Endzeitcomics setzt sich aus Frank Bacon (ein Zitat), Ana Pozzano, dem toten Michelangelo (nur ein Zitat), einem Kraken fressenden Falconiden (wie Omar richtig diagnostiziert) und anderen Nihilisten (sic!) zusammen. Aber auch Kim, die bereits angesprochene ostasiatische Schönheit, und ihr geheimnisvoller Flossenbestückter älterer Begleiter befinden sich auf der S17 und kollidieren bald mit den anderen Reisenden. Dronen berichten regelmäßig über die Vorgänge auf anderen Abschnitten der Straße, auch ein Kontakt zu Ferdinand Owles (kein Zitat) kann so hergestellt werden. „Schweigen ist eine der großen Künste der Konversation“, erzählt der sonst stumme Reiter auf seinem Zebra und überführt seine wiederbelebte Begleiterin bald ebenfalls der übertriebenen Benutzung von Zitaten, sogar in zwei Sätzen hintereinander, von zwei verschiedenen Autoren. Die Welt, ein einziges Zitat, auch wenn man sich dessen gar nicht bewusst ist. Deswegen besser schweigen?
Am Ende der Straße: Eldorado!
„Will man die Natur vertreiben, so kommt sie im Galopp zurück…Nein ich wollte sagen, ich misstraue Leuten, die sich nur in den Gedankenwelten anderer bewegen.“ Dann träumt sie von fliegenden Elefanten, Eisbären oder schwimmen sie einfach nur und tatsächlich über ihren Kopf hinweg? Genial ist auch der Einfall Bilals, dass man sich über die Wirbelsäule durch drei Druckknöpfe einen Delfinmaterialisator quasi umhängen kann. Wer so „connected“ ist, verwandelt sich in einen Delfin und kann in dessen Körper durch das eiskalte Wasser schwimmen, ohne etwas zu spüren. Abgesehen von den vielen wunderbaren Zitaten aus der Weltliteratur, die die ganze ohnehin schon absurde Atmosphäre noch ins Unermessliche und absolut Abstruse steigern, wirken natürlich vor allem Bilals Zeichnungen, die vor kurzem auf einer Auktion in Paris (40.000 Euro allein für das Titelbild von Animal´Z) übrigens Wahnsinnswerte erreicht haben. Bilal produziert nämlich vorrangig Kunst. Seine Zeichnungen werden großflächig als Einzelbilder produziert und erst später zu einem Comic zusammengefügt. Das erklärt vielleicht auch so manche Ungereimtheit beim Plot. Die Endzeitstimmung nach einer Klimakatastrophe zu vermitteln, ist Bilal aber ohnedies brillant gelungen. Wer sich die Kunst nicht leisten kann, also die großformatigen Bilder, der kauft sich dann eben das Comic. Schließlich nicht umsonst die neunte Kunst genannt und das haben die Comics vor allem diesem Bilal zu verdanken. „Da fällt mir noch ein Satz von Kafka ein. `Es gibt ein Ziel, aber keinen Weg; was wir Weg nennen, ist Zögern.´ …Also, sobald die Entscheidung gefallen, das Zögern überwunden ist, hat der Weg ein Ende…Als hätte es ihn nie gegeben.“ Wie dann die ganze Truppe durch eine Herde Eisbären einfach durchgeht, von Angesicht zu Angesicht, und dennoch ans Ziel, Eldorado, kommt, das erfährt nur, wer sich auf dieses geniale Abenteuer von Enki Bilal voll und ganz einlässt.