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Wolf Biermann - Warte nicht auf bessre Zeiten!
Buchinformation

„Du, lass` dich nicht verhärten/ In dieser harten Zeit./ Die allzu hart sind, brechen,/ Die allzu spitz sind, stechen/ Und brechen ab sogleich“, singt Wolf Biermann in seinem Lied „Ermutigung“ aus dem Jahre 1973. Erstmals hörte ich es auf der Langspielplatte „Eins in die Fresse mein Herzblatt“ (1980). Beeindruckend fand ich seine kräftige Stimme, die tatsächlich ermutigend wirkte, die sog. Berliner Schnauze. Erst später fand ich heraus, dass der Biermann eigentlich aus Hamburg stammt und erst später in die DDR einwanderte. Dabei wird er von vielen heute noch als Ostberliner Liedermacher gehandelt. Aber jener „Osten“ hatte ihn 1976 nach einem Konzert in Köln wegen staatsfeindlicher Einstellung ausgebürgert. Dabei hatte er dem Regime 23 Jahre lang in kritischer Distanz die Stange gehalten. Aber mit seiner Ausbürgerung begann auch der Anfang vom Ende des SED-Staates.

Autobiographie eines Unbequemen

Die Autobiographie von Wolf Biermann liest sich wie ein Roman, schließlich geht es auch um mehr als 50 Jahre deutsche Nachkriegsgeschichte und nicht nur um den Liedermacher und Barden. Sein Leben zwischen West und Ost ist eng verbunden mit
der Geschichte der beiden deutschen Staaten, an die sich heute niemand mehr so recht erinnern will. Die Bundesrepublik und die DDR gibt es beide nicht mehr. Aber wie man an den Wahlen (2021) gesehen hat auch noch kein „einig Vaterland“. Als Sohn kommunistischer Eltern und noch dazu geborener (nicht praktizierender) Jude hatte es Biermann weder in dem einen noch in dem anderen Deutschland leicht, den einen war er zu links, den andern zu rechts. Aber zumindest in einem herrscht Einstimmigkeit: Biermann war kein IM, er arbeitete nie für die Stasi, auch wenn sein engstes Umfeld nur so durchsiebt war von Informanten. Selbst ein Freund, dem er seine Tagebücher anvertraut hatte (bis heute sollen es über 200 Stück sein), war ein IM, verriet ihn aber nie und händigte ihm Jahrzehnte später seine Tagebücher ungelesen und unberührt wieder aus. Selbst in einer Diktatur wie der DDR war Widerstand also möglich und auch dafür steht Biermann heute. Ein Mutiger in einer entmutigenden Zeit.

Lieder gegen den Verschleiß

Wolf Biermann spricht aber auch über seine Irrtümer, denn stets war er dem Kommunismus zugetan und wollte eine Veränderung der DDR zum Sozialismus hin. Seine politische Naivität war aber wohl auch dem Milieu dem er entstammte zuzurechnen. Sein Vater, der für seine politische Einstellung nach Auschwitz ging und dort ermordet wurde, hatte mit dem Kommunismus eines Stalin oder Honecker sehr wenig zu tun. Es ging damals noch um andere Überzeugungen und vor allem gegen Hitler. Dass Stalin beinahe derselbe Übeltäter war, wer konnte das damals Anfang Dreißiger Jahr schon wissen? Biermann hat sein politisches Erbe durch seine Abkehr vom Kommunismus also keinesfalls verraten, sondern vielmehr weiterentwickelt. Linkslinke Kritik an ihm ist also eher entbehrlich. Da könnte man ihm schon eher ankreiden, dass er ein Frauenheld war. Aber damit haben die vielen Frauen ja auch etwas zu tun, denn sie verliebten sich ja freiwillig in den Testosteronbolzen und Bänkelsänger, Vater von zehn Kindern unterschiedlichster Mütter. Wolf Biermann wurde für seine Dichtungen und Lieder vielfach ausgezeichnet, darunter mit dem Georg-Büchner-, dem Heinrich-Heine- und dem Hölderlin-Preis. Eine Lektüre so spannend wie unser Jahrhundert. Mit vielen Liedtexten und natürlich auch einigen Fotos, die den Barden und auch Chansonnier in Action zeigen. Mit den besten Grüßen von Heine und Brecht, in dessen Tradition sich der Autobiograph sieht und sonnt. „Du, lass‘ dich nicht verbrauchen,/ Gebrauche deine Zeit./ Du kannst nicht untertauchen,/ Du brauchst uns und wir brauchen/ Grad deine Heiterkeit.“

Wolf Biermann
Warte nicht auf bessre Zeiten!
Biographie/Autobiographie
Ullstein Taschenbuch
2017, Klappenbroschur, Paperback, 544 Seiten
ISBN: 9783548377377
Ullstein
€ 14,00 [D] € 14,40 [A]

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2021-09-28)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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