Behandelt werden Thomas Bernhards Lebensjahre zwischen zwölf und fünfzehn. Damals lebte die Familie in Traunstein, Oberbayern. Um das Salzburger Gymnasium besuchen zu können, hatte man den Jungen in einem kirchlichen Internat untergebracht. Die Handlung spielt zum größten Teil noch im Krieg, dann auch im Österreich der unmittelbaren Nachkriegszeit. Bernhard gliedert das in zwei große Abschnitte, die er nach den Rektoren des Internats „Grünkranz“ und „Onkel Franz“ betitelt. Ersterer ein Nazi durch und durch, der den Schüler Bernhard und dessen Aufsässigkeit nicht ertragen kann und ihn prügeln lässt. Letzterer dann auch nur dessen erzkatholische Doublette, vom selben autoritären Ungeist erfüllt.
Das eben, glaubt man sich zu erinnern, sei das Thema des autobiografisch inspirierten Romans gewesen: die von Bernhard in späteren Jahren und Texten vielfachwiederholte Behauptung, Nazismus, Antisemitismus und Katholizismus seien in Österreich und insbesondere in Salzburg eine unauflösliche Vermählung eingegangen, die bis zum heutigen Tage (bis in die achtziger Jahre also) die Gesellschaft vergifte. Äußerlich sei das Alpenland reizvoll, mental mehr oder weniger unbewohnbar.
Das hemdsärmelig hingeworfene Jugendmemoirenbuch geriet zum Skandalerfolg. Der ehemalige katholische Internatsleiter lebte seinerzeit noch und setzte gerichtlich die Änderung des Namens der Figur durch.
Aber in Wahrheit, so findet man beim Wiederlesen heraus, steht über Charakter und Benehmen vom „Onkel Franz“, obwohl das halbe Buch nach ihm heißt, fast nichts in „Die Ursache“. Das Wenige aber ist überaus vage gehalten: von Grünkranz zum Franz sei kein Unterschied gewesen, Unterdrücker sie beide. Damit hat es sich dann schon. Über Bernhards sonstige Lehrer und Mitschüler ist kaum etwas zu erfahren.
Bis auf das Ende, wo - vergleichbar der dramatisierten Dreifaltigkeit im späteren „Untergeher“ - im Geiste, mithin erst in der Erinnerung, ein Trio gestiftet wird, das im wirklichen Leben nie so zusammen gewesen ist. Ein Bündnis der von der Masse der Normalen Ausgestoßenen, zu dem die Bernhard-Jungen-Figur sich gern gesellt. Der im Rollstuhl sitzende Junge, vom Erzähler als „Krüppel“ vorgestellt, mit dem sich Thomas unterhält, um ihn aufzuheitern, während er nach Schulschluss auf die Mutter wartet, die ihn das Treppenhaus hinabtragen wird. Dazu ein ob seiner Hässlichkeit verspotteter, fachlich jedoch hervorragender Erdkundelehrer.
„Die Ursache“ ist, selbst für Bernhard’sche Verhältnisse, ein erschreckend nachlässig zusammengestückeltes, sich sogar in wenig erhellenden Anekdoten ergehendes Nebenwerk. So was vom „Geschichten-Zerstörer“!
Seitenlang geht es auch um den Schriftsteller Johannes Freumbichler, Thomas Bernhards Großvater, dessen Unnachgiebigkeit gepriesen und aus dessen Jungendjahren (also lange vor der Geburt des sich Erinnernden!) berichtet wird. Aber, entgegen unseren Erwartungen, fast nie um das jugendliche Empfinden seines Enkels Thomas und auch nicht um die Nazis von Salzburg, obwohl uns Dritte das über „Die Ursache“ oft erzählt hatten. Es ist die Legende, die das wirkliche Buch aufgefressen hat.
Was sich der Autor nicht entgehen lässt, sind die schrecklichen Bilder des Bombenkriegs, von denen es in der weitgehend verschonten Bischofsstadt an der Salzach so viele gar nicht gegeben hat. Einmal entdeckt Thomas eine Puppenhand im Schutt, die sich als die eines echten Kindes erweist. (Wer Bernhard kennt, weiß, so war das nicht, das hat er zugespitzt, damit was zum Erzählen da war.)
Wie von jedem geht auch von diesem Bernhard-Werk ein Sog des sprachlichen Katarakts aus. Es fasziniert einen zwar, aber wir wissen am Ende noch nicht einmal, worum es im Herz dieses Textes einmal gehen sollte, weshalb er überhaupt „gemacht“ werden musste.
Zitat:
Wie jede Diktatur ist auch die nationalsozialistische über den Massensport mächtig und beinahe weltbeherrschend geworden. In allen Staaten sind zu allen Zeiten die Massen durch den Sport gegängelt worden, so klein und so unbedeutend kann kein Staat sein, daß er nicht alles für den Sport opfert. Aber wie grotesk ist es doch gewesen, an Hunderten von Schwerkriegsverletzten, zum Großteil beinahe gänzlich Verstümmelten, die auf dem Hauptbahnhof buchstäblich wie eine lästige, mangelhaft eingepackte Ware umgeladen worden sind, vorbei, auf den Gnigler Sportplatz zu gehen, um dort um Siegernadeln zu laufen.
Wie jede Diktatur ist auch die nationalsozialistische über den Massensport mächtig und beinahe weltbeherrschend geworden. In allen Staaten sind zu allen Zeiten die Massen durch den Sport gegängelt worden, so klein und so unbedeutend kann kein Staat sein, daß er nicht alles für den Sport opfert. Aber wie grotesk ist es doch gewesen, an Hunderten von Schwerkriegsverletzten, zum Großteil beinahe gänzlich Verstümmelten, die auf dem Hauptbahnhof buchstäblich wie eine lästige, mangelhaft eingepackte Ware umgeladen worden sind, vorbei, auf den Gnigler Sportplatz zu gehen, um dort um Siegernadeln zu laufen.
[*] Diese Rezension schrieb: Klaus Mattes (2015-03-29)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.