"Kino ist Komm", meint der Autor in einem dem Roman angehängten Interview. Der in Saarbrücken geborene Emanuel Bergmann machte 2017 schon mit "Der Trick" auf sich aufmerksam, das von dem Zauberer Sabatini handelte. In seinem zweiten Streich erzählt der Filmfan, der in L.A. Film und Journalismus studierte und dort für Filmstudios, Produktionsfirmen und Medien arbeitete, auch ein bißchen etwas über sich selbst. Natürlich ohne dabei autobiographisch zu sein.
Filme und Leidenschaft
Marcel Klein ist ein berühmter Filmkritiker, der für die deutsche Zeitschrift "Hollywood" aus Los Angeles berichtet. Als solcher fliegt er auch zu den Filmfestspielen in Cannes, die jedes Jahr im Wonnemonat Mai an der berühmten Croisette stattfinden. Ob es am Mai liegt oder nicht, er verliebt sich jedenfalls. Seine Angebetete hört auf den Namen Héloïse. Sie wirkt sehr geheimnisumwittert und unnahbar, weswegen sich ihre Gespräche vorerst vor allem in Beleidigungen übertrumpfen. Denn jedesmal, wenn sie sich zwischen Presseevents, Partys und Premieren begegnen, streiten sie sich leidenschaftlich. Aber auch der "Große Klein", wie ihn seine Fans nennen, hat ein Geheimnis. "Keine Fragen, keine Lügen" lautet zunächst ihre unausgesprochene Übereinkunft, während sie sich in französischen Hotelbetten lieben und von Champagner bis Koks alles durchprobieren. Das Filmfestival dauert durchschnittlich zehn Tage und genau diese kurze Zeitspanne wird auch den beiden Liebenden vom Schicksal gewährt. Aber Lügen haben bekanntlich kurze Beine und so kommt schneller ans Licht, was vielleicht besser in der Dunkelheit verblieben wäre. Aber leben wir nicht alle in der Lüge? Die eigentliche Frage ist doch nur, ob wir anderen damit schaden oder sie von etwas verschonen wollen. Allein die Intention zählt und macht den Unterschied.
Der Große Klein
Emanuel Bergmann hat seinen "Marcel Klein" an den beiden Journalisten Claas Relotius und Tom Kummer angelehnt, die beide Schmach und Schande über ihre Zunft gebracht haben. Wer sich erinnert, wird wissen, dass sie es zwar vielleicht gut gemeint haben, aber dennoch Böses getan haben. Die Glaubwürdigkeit des Journalismus wurde arg in Mitleidenschaft gezogen, weil sie ihre Interviews mit Prominenten einfach erfanden. Das Gute dabei: sie kamen dabei oft besser weg als in der Realität. Wie es ein Kollege von Klein ausdrückt: das hätten wir doch alle mal gerne getan. Klein hätte wenigstes Eier gehabt, Eier die Celebrities so zu zeigen wie sie wirklich sind: einfache, eitle Menschen. Aber Marcel Klein passiert das eine Mal ein Fehler und so fliegt bald die ganze Chose auf. "Tahara" - eigentlich der Ausdruck für die jüdische Totenwäsche - hat viel von einem französischen Spielfilm der Nouvelle Vague oder einem amerikanischen Roadmovie. Sehr viel Verve liegt im Moment, in der Möglichkeit, das Lenkrad seines Lebens radikal herumzureißen und etwas ganz anderes zu machen. So versucht Marcel Héloïse mehrmals von einer gemeinsamen Zukunft zu überzeugen, bis diese ihm endlich ihre Wahrheit gesteht. Doch selbst dann gibt er nicht auf, da er wie der Godardsche Held mit einem Flügel stets überzeugt ist, selbst der Herr seines Schicksals, der Kapitän seiner Seele zu sein. Aber fürs Fliegen braucht es leider zwei (Flügel).