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Sybille Berg - 1865, 2015 – 150 Jahre Wiener Ringstraße. Dreizehn Betrachtungen
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Berg, Sybille:
1865, 2015 – 150 Jahre
Wiener Ringstraße.
Dreizehn Betrachtungen

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(Bücher frei Haus)

Wer nächstes Jahr Wien besucht, dem dürfte bald auffallen, dass Menschen aus allerhand Ländern mit einem kleinen roten in Leinen gebundenen Buch herumlaufen, auf dem als Aufschrift die Jahreszahlen 1865 und 2015 prangen. Es wird zwar keine Kulturrevolution ausgebrochen sein, so wie in Maos China, als alle jungen Revolutionäre mit der roten Maobibel in der Hand durch die Straßen marschierten, aber dennoch ein historisches Ereignis gefeiert werden, das vielleicht von politischer Bedeutung keiner Kulturrevolution gleichkommt, aber für österreichische Maßstäbe dennoch einer kleinen Revolution ähnelt: 150 Jahre Wiener Ringstraße.
Wien: multilingual und multiperspektivisch
13 AutorInnen aus der ganzen Welt erzählen auf Deutsch und auch in Ihrer Muttersprache (die Texte sind zweimal abgedruckt) ihre ersten Eindrücke von Wien und seiner Ringstraße, die einst erbaut wurde, in dem sie nicht nur bauliche, sondern auch gesellschaftliche Grenzen überwannd. Denn bis Mitte des 19. Jahrhunderts war die sog. Innere Stadt, der heutige erste Bezirk Wiens, die Altstadt, von einer Mauer umgeben, die den Adel vor dem Volk aber auch vor Angreifern schützen sollte. Auf Befehl Kaiser Franz Joseph wurden diese Mauern ab den Fünfziger Jahren des vorvergangenen Jahrhunderts niedergerissen und entlang der freiwerdenden Stellen neue – das aufstrebende Wiener Bürgertum repräsentierende – Gebäude erbaut. Zudem fanden auch öffentliche Repräsentationsbauten ihren Platz entlang des neu entstehenden Ringes um die alte Innenstadt und so konnte schon am 1. Mai 1865 die neue Repräsentationsstrecke der Reichshauptstadt von Kaiser Franz Joseph höchstpersönlich eröffnet werden.
Wien: die erste Haltestelle im „Goldenen Westen“
Der Wiener Ring ist nicht nur „ein Kreis, genausowenig wie ein Kreis eine geometrische Figur ist, sondern auch eine Weltanschauung“, schreibt etwa der aus Polen stammende Wien-Bewohner und Schriftsteller Radek Knapp, denn Wien war bis in die Achtziger des 20. Jahrhunderts für viele Bürger und Bürgerinnen aus dem damaligen „Ostblock“ die erste Station im „Goldenen Westen“, dessen Glanz für viele damals etwas zu matt erschien, worauf sie lieber weiter nach Deutschland zogen, wo der Wohlstand heller leuchtete und winkte. „Hier in Wien, in dieser Stadt, die an der Vergangenheit festhält und sich vor der Zukunft schützt“, so der aus Italien stammende Nicola Lecca, „(…) widersteht man der Sogkraft des Fortschritts in der Hoffung das Unvermeidliche so lange wie möglich hinauszuzögern“. Applaudieren würde man der Gruberovà in der Staatsoper und der Stadt Wien vor allem aus Dankbarkeit, für die Gefühle die sie hervorruft, für die Unvollkommenheit, weil das die Verdammnis des Menschen sei. Und indem man dieser Stadt (oder synoym der Gruberovà) applaudiere, applaudiere das Publikum sich selbst und verzeihe sich damit.
Endlich etwas Bedeutendes: es passiert in Wien
„Der Ring hält den Kopf und der Gürtel den Buach in Form und in Stand“, kommentiert die österreichische Schriftstellerin Eva Menasse ihren „zerbrochenen“ Ring. Die Anspielung auf die größte innerstädtische Autobahn, den Gürtel, werden all jene verstehen, die ihn so wie die Autorin auch als neue Mauer interpretieren, als Mauer des Wohlstandsgefälles, denn auf der anderen Seite des Gürtels leben die Proletarier, so wie einst trans anulum. In den ersten Jahren des Milleniums, sei aber endlich etwas wirklich Bedeutendes in Wien geschehen: die Straßenbahnlinien 1 und 2, die bisher nur um den Ring kreisten, also die innere Stadt, den Void quasi in Schach hielten und so unbeabsichtigt eine neue Begrenzung bildeten, wurden plötzlich umgeleitet. Die Linien 1 und 2 würden nun nicht mehr wie „tonlose, ewige Schallplatten um dieses leere Zentrum kreisen“, sondern in die „richtige“ Stadt abbigen, hinaus ins Weite, dorthin wo die Wiener wohnen und arbeiten.
Metroverlag
1865, 2015 – 150 Jahre Wiener Ringstraße. Dreizehn Betrachtungen

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2014-05-25)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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