Der 1933 in Polen geborene und nach dem Krieg in die USA übergesiedelte Louis Begley studierte Literaturwissenschaften und Jura in Harvard und arbeitete von 1959 bis 2004 als Anwalt in New York, wo er bis heute lebt. Erst spät betätigte er sich als Romancier und hatte mit Lügen in Zeiten des Krieges und Schmidt große Erfolge, die auch verfilmt wurden. Seine Bücher sind sehr stark von biographischen Erlebnissen beeinflusst und überzeugen durch eine große Authentizität und epische Qualität. Mit dem 2007 erschienen Roman Ehrensachen veröffentlichte Louis Begley den wohl persönlichsten Roman bezüglich seiner reichhaltigen Erfahrungen in den USA.
Die Handlung beginnt mit der Schilderung des Aufeinandertreffens dreier junger Studenten in Harvard. Dem Ich-Erzähler Sam Standish, Adoptivsohn einer neuenglischen Mittelstandsfamilie, Archie Parker III, Nachkomme einer Offiziersdynastie und Henry White, Kind polnisch-jüdischer Einwanderer aus Brooklyn. Die drei finden sich in einer von der Universitätsverwaltung zugewiesenen gemeinsamen Wohnung ein, wo sie sich kennen lernen und allmählich näher kommen. Keiner der drei ist ohne Sozialisationstrauma, Sam kennt seine richtigen Eltern nicht und leidet unter einer durch Belanglosigkeiten und Alkoholmissbrauch geführten Ehe der Adoptiveltern, Archie unter dem Druck seiner Mutter, die ihn in eine den Ambitionen der Dynastie entsprechenden Musterkarriere zwängen will und Henry unter dem gefühlten Stigma seines Judentums.
Gemeinsam entwickeln die sich näher kommenden Freunde ihre Strategien, um das jeweils angestrebte und sehr anspruchsvolle Studium zu meistern, ohne aus den Augen zu verlieren, was junge Männer in ihrem Alter bewegt. Es ist die Mitgliedschaft in einfußreichen Clubs, der Kampf verschiedener Peer Groups um die Campushoheit, die intellektuelle Konkurrenz und die Suche nach attraktiven Frauen. Schon bald wird deutlich, wie unterschiedlich die Lebenswege verlaufen werden, ohne den alles überdauernden Konsens des gemeinsamen Lernens in den Hintergrund zu drängen.
Im Verlauf der Handlung, die sich von den fünfziger Jahren bis ins Heute zieht, wird Sam zu einem selbstzweifelnden, aber disziplinierten Romancier, der seine Traumata literarisch verarbeitet, treibt es Archie in eine schnelllebige Juristenkarriere mit zuviel Alkohol, schrillen Frauen und zu schnellen Autos, die ihm letztendlich durch einen tödlichen Unfall zum Verhängnis werden und Henry in einen kometenhaften Aufstieg als Wirtschaftsanwalt, der nur getrübt wird durch eine nie mit dem Bündnis gekrönte Liebe zu einer Tochter der New Yorker Finanzbourgeoisie. Henry White, der noch als Weiss aus Polen geflohen war, taucht zuletzt als Leblanc in Frankreich unter und entsagt dem zählbaren Erfolg zugunsten einem Leben in der Provinz.
Louis Begley gelingt es, seine eigene Identität als Schriftsteller und die des erfolgreichen jüdischen Juristen in zwei Figuren zu platzieren, sehr subtil und mit großem Fingerspitzengefühl. Es ist ein von menschlichen, solidarischen Gefühlen geprägtes Buch, das die Geschichte und ihre Moden nicht außen vor lässt und dennoch das Archetypische am Wesen der Freundschaft zu finden sucht. Ein großartiges, lesenswertes Buch über die Freundschaft, die sich speist aus Empathie und Erkenntnis.
[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2009-11-21)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.