Louis Begley hat sich von der Nachfrage hinreißen lassen. Nach dem Erfolg von About Schmidt schrieb er an der Erzählung über den pensionierten Rechtsanwalt Albert Schmidt weiter und entdeckte dabei immer neue Nuancen einer aus der Distanz betrachtet langweiligen, im Kern jedoch turbulenten Biographie. Denn im Grunde genommen sind die die Leidenschaft inspirierenden Universalthemen wie Liebe, Geld, Macht, Hass und Eifersucht bereits in der ersten Erzählung angelegt und nehmen in der Folge unter dem Titel Schmidt Delivered noch an Intensität zu.
Ohne der weiteren Handlung vorzugreifen bzw. Ärger durch das Ausplaudern des weiteren Fortgangs provozieren zu wollen, bleiben die wesentlichen Baustellen des wohlhabenden Rentners Schmidt virulent. Das Verhältnis zu seiner Tochter, die ihrem jüdischen Ehemann und ihren Psychoanalytiker-Schwiegereltern näher steht wie ihrem Vater ist ein ewiger Stachel im Fleisch. Carrie, die ehemalige Kellnerin in seinem Stammlokal, puertoricanisch, jung und lebenshungrig, realisiert zunehmend, dass ihr ein vierzig Jahre älterer Mann doch mehr den Vater als den feurigen Liebhaber ersetzt. Und die Verwaltung seines Vermögens, auf das die eine oder andere der jungen Frauen spekulieren, wird ihm zunehmend zur Bürde.
Die ihn belastenden emotionalen Verhältnisse werden nicht gerade aufgewogen, aber sie erhalten einen neuen Stellenwert durch das Auftauchen eines neureichen ägyptischen Juden, der Schmidt Freundschaftsavancen und Geschäftsangebote macht, um sich in der alten Ostküstenoberschicht zu etablieren. Die Hybris des Tycoons irritiert Schmidt, er fühlt sich aber auch geschmeichelt und kann nicht widerstehen. Letztendlich verliert Schmidt viel in seinen Beziehungen, gewinnt aber bei der Realisierung einer neuen Lebensaufgabe, bei der er seine gründliche und reichhaltige Berufserfahrung in die Waagschale werfen kann und zudem an materiellem Reichtum dazu gewinnt.
Auch in Schmidt Delivered gelingt es Louis Begley, eine große Erzählung fortzuschreiben. Die epische Qualität generiert sich aus den Reflexionen des Protagonisten. Schmidts weitschweifige Gedanken nehmen selbstverständlich Dynamik aus der Handlung, aber sie dokumentieren gerade dadurch die Taktung seines tatsächlichen Lebens. Die Leserschaft bekommt durch die literarische Komposition eine sprachliche wie syntaktische Vorstellung des Rentnerdaseins. Die vergleichsweise spärlichen Handlungen werden eingebettet in ein Räsonnement, gespeist aus einer reichhaltigen Vergangenheit und einem tiefen Misstrauen gegenüber der Zukunft.
Die Größe der Erzählung liegt nicht in den skurrilen Ereignissen, die zweifelsohne vorkommen, sondern in der enttäuschten Menschlichkeit und in einem daraus entstehenden inneren Kampf zwischen Misanthropie und Humanismus. Schmidt Delivered als Fortsetzung von About Schmidt weist durchaus Analogien zu großen russischen Erzählungen Gogols oder Chechovs auf, in denen das Individuum zum Mikrokosmos untergehender und neu entstehender Welten wird. Das ist ein komplett anderer Horizont als der aus der ersten Erzählung gerippte Film, der seine Meriten durch die Darstellung des Grotesken gewann. Begleys Erzählung erschließt mehr, sie ist emotional und intellektuell anspruchsvoll und bietet Tiefe.
[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2012-03-23)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.