Louis Begley, der Mann, der sich in seinem Leben dreimal häuten musste, hat ein großes Verständnis des Existenziellen. Als Jude war er mit seiner Familie der faschistischen Hölle in Polen entflohen, um in seiner neuen Heimat Amerika eine glänzende Karriere zu beginnen. Als Havard-Absolvent gelang ihm ein erfolgreiches Berufsleben als Jurist in einer der angesehendsten New Yorker Kanzleien bis er, im Rentenalter, zu schreiben begann und sich als Erzähler von ungeheurer Kraft und weitem Horizont bewies. Mit seinem Buch Wartime Lies, in dem er seine Kindheit beschrieb, ließ er die interessierte Welt der Literatur aufhorchen. Und mit About Schmidt folgte im Jahr 1996 ein Roman, der die versinkende Welt der Upper Middle Class an der Ostküste zu durchleuchten begann. Schmidt Delivered folgte, und dann die sehr autobiographisch ausgerichteten Matters of Honour. About Schmidt wurde mit Jack Nicholson in der Hauptrolle verfilmt und auch ein Kinoerfolg.
Angesichts der erzählten Geschichte jenes Albert Schmidts stellt sich die berechtigte Frage, was daran so fasziniert. Denn die Rahmenhandlung präsentiert sich zunächst eher als die bewegende, aber dennoch relativ ereignislose Geschichte eines Mannes, der als Jurist einer Kanzlei in den Ruhestand geht, seine Frau verliert und dann, jenseits der sicheren Domäne seines Berufslebens, langsam beginnt, das profane Leben mühevoll zu buchstabieren.
Natürlich ist Schmidt ein Kind seiner Zeit, und natürlich erscheint er schnell in einer sich rasch ändernden Welt als ein ziemlich kauziger Sonderling. Jenseits finanzieller Sorgen muss er bald feststellen, dass seine Frau es war, die das soziale Netz um ihn spann. Mit ihrem Tod ist das alles durchschnitten. seine Tochter ist liiert mit einem jungen Anwalt aus Schmidts ehemaliger Kanzlei, seinerseits ein Jude, der Schmidt immer wieder latent als Antisemiten verdächtigt. Schmidt, der Weiße, der bis auf seine deutsche Herkunft perfekte WASP, versteht diese Verdächtigung schon nicht mehr, denn sein bester Freund, Gil Backman, den er seit Studienzeiten kennt und mit dem er so manche Weltbetrachtung teilt, ist seinerseits auch Jude.
Die Diffusion setzt sich fort, und Schmidts Lebensattitüde verstört durch ihre pessimistische Ausrichtung. Er erwartet schlicht nicht mehr viel von der Welt, die ihm zunehmend unverständlich wird. Dennoch erfährt er Lichtmomente, mit denen er gar nicht mehr gerechnet hat und die ihn zu einem Akteur werden lassen, der seinerseits die Welt verstört, die er selbst nicht mehr versteht. Darin besteht das Paradoxon, das den Leser nicht mehr aus seinem Bann lässt. Der Inbegriff des Konservativen beginnt ein Verhältnis mit einer 20jährigen Puerto Ricanischen Kellnerin, mit der er es treibt, dass die Balken in dem Haus wackeln, das seine Tochter gar nicht erben will. Und diejenigen, die ihn des Antisemitismus bezichtigen, entpuppen sich als rassistische Megären, wenn es auf die Ethnie seiner jungen Geliebten kommt.
Man kann sich nicht erwehren, je länger man mit dem Knorrigen, Störrischen und teilweise Boshaften dieses Schmidtie, wie er genannt wird, vertraut wird, desto sympathischer wird dieser Charakter, der von der Welt nichts mehr erwartet, sie aber noch kräftig in Schwung hält.
[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2012-03-14)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.