Der Duktus des Autoren ist erstaunlich - zwar versteht er sein Werk als "Verteidigung der Poesie", doch herrscht in diesem ein oft autoritär-unterweisender Ton, der einen unweigerlich an den brutal-klaren Stil Maos denken lässt - nüchterne marxistisch-dialektische "Wissenschaftlichkeit". Wie will man sich das erklären? Vielleicht so: Der alternde Dichter möchte seine Weisheiten für die Nachwelt aufbewahren, nicht nur durch sein poetisches Schaffen auf diese einwirken; er zeigt sich dem Leser also mehr als ein Lehrer, und zwar als ein Lehrer streng-energischen Auftretens. Ein solches Verhalten (gemeint sind die Anstrengungen, in der Nachwelt fortleben zu wollen) lässt sich auch beim Brecht der 50er Jahre finden, der sich vor allem um die Ausbildung neuer Schauspieler und Regisseure bemühte und gerade deswegen theoretische Schriften mit hoher Praxisrelevanz verfasste. Indem sich Becher eines solchen wie oben geschilderten Tones bediente, bewies er, dass er sich auf der Höhe seiner Zeit, wie es vom sozialistischen System gefordert wurde, befand.
Wie sieht nun so eine Bechersche Weisheit aus?
Zitat:
Eine Frage ist an jedes Gedicht gerichtet, und diese Frage lautet: "Ist das wahr, was hier geschrieben steht?" Ein Gedicht muß künstlerisch wahr sein, wobei die künstlerische Wahrheit die Lebenswahrheit einschließt und gleichsam nur eine Art erhöhter Lebenswahrheit darstellt.
Eine Frage ist an jedes Gedicht gerichtet, und diese Frage lautet: "Ist das wahr, was hier geschrieben steht?" Ein Gedicht muß künstlerisch wahr sein, wobei die künstlerische Wahrheit die Lebenswahrheit einschließt und gleichsam nur eine Art erhöhter Lebenswahrheit darstellt.
Natürlich gibt es eine Reihe von Texten, die vor allem der damaligen Zeit geschuldet sind. Sie drücken übersteigerte Verehrung für die Sowjetunion aus, zeigen die Überlegenheit des Realismus gegenüber reinen Formspielereien (Formalismus), attackieren die Idee des Geworfenseins in das Leben, wie sie vom Existentialismus (Heidegger) vertreten wird usw.; aber es werden auch Probleme der literarischen Kritik geschildert, Überlegungen zu dichterischen Formen wie der des Sonetts, welche der späte Becher als die seine, die ihm gemäße erwählte, angestellt.
Die Poetische Konfession ist ein aufschlussreiches Werk, wenn man bestrebt ist, den widersprüchlichen Dichter Becher als auch die schwierigen Zeiten, in denen er gelebt hat, noch genauer zu erfassen.
Vielleicht waren es Sätze wie dieser, die dazu führten, dass das Buch in der DDR nur in einer einzigen Auflage erschien:
Zitat:
Mancher zeigt sich in seiner ganzen jämmerlichen Machtlosigkeit erst dann, wenn er zur Macht gelangt ist.
Mancher zeigt sich in seiner ganzen jämmerlichen Machtlosigkeit erst dann, wenn er zur Macht gelangt ist.
Natürlich wissen wir, dass die Geschichte komplizierter ist, als dass sie sich auf einen solchen Satz reduzieren ließe. Immerhin fand die "Poetische Konfession" ihren Weg in das SED-Archiv: In meiner Ausgabe befindet sich ein blauer Stempel "Eigentum: Zentralkommitee der SED. Bibliothek-Archiv. Berlin 54. Wilhelm-Pieck-Str.1". Später allerdings, so lässt eine Streichung erahnen, wurde es in die Universitäts-Bibliothek überführt, bis man es dort aussonderte und es über einen Antiquar den Weg zu mir fand. Abschließendes Geschwätz.
[*] Diese Rezension schrieb: Arne-Wigand Baganz (2006-02-02)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.