Gerade jetzt wo der Sommer vorbei ist, sollte man an den Sommer denken, auch wenn er weder philosophisch noch pornographisch war, ist es doch himmlisch, vor dem Kamin zu sitzen und ans Meer zu denken. Denn das spielt natürlich in jedem Sommer eine große Rolle und ganz besonders in diesem Comic des Jungautors Beaulieu (*1974) aus dem französischen Teil Kanadas, besser gesagt Montreal, der Hauptstadt Quebecs.
Generation „kurze Aufmerksamkeitsspanne“
Louis, ein Künstlertyp, der vom Schreiben lebt, hat zwar Geld, aber keine Ideen mehr. Es ist nicht wirklich eine Schreibblockade, vielmehr eine Sinnkrise und so kauft er sich aus Ennui eben ein Haus an der Küste, ein ehemaliges Hotel, wohl der Traum jedes „jungen Kreativen“, der seiner Selbstverwirklichung freien Lauf lassen möchte. Louis lädt seine Freundin Corrinne und seine Freunde Martin und Annie ein, mit ihm den Sommer dort zu verbringen und Sex ist dort eben nur eine von vielen normalen Tagesbeschäftigungen, denen man nachgeht, um sich die Zeit zu vertreiben. Dabei entsteht vielleicht ein neuer Roman, oder eben diese Zeichnungen, die viel zeigen, was man eigentlich gar nicht unbedingt sehen möchte, so konzise sind die Darstellungen manchmal, dass man sich fast schämt, dabei zu sein. „Ich vermute ja schon lange, dass das Überlegenheitsgefühl ein starkes Narkotikum ist“, sagt Louis zu Corrinne sarkastisch, denn zwischen den beiden stimmt auch nicht mehr alles so ganz. „Ich habe zwar 300 Seiten über das Phänomen `Null Bock´ geschrieben, ich bin trotzdem ein Produkt der Generation `kurze Aufmerksamkeitsspanne´.“ Und so probiert man eben neues aus, um sich die Langeweile etwas zu verkürzen.
The End of the World?Oder doch nur des Sommers
„Immer wieder habe ich mir vorgehalten, dass jeder eine Chance verdient hat. Lauter so Zeug. Jetzt, mit fast vierzig, gebe ich’s auf.“ Die nicht mehr ganz so jungen ProtagonistInnen dieser Erzählung singen beim Autofahren „The End of The World von Sylvia Dee/Arthur Kent und finden in einem Autobahntunnel ihre eigentliche Leidenschaft beim Singen wieder. Sie prosten auf Rodrigo Massicotte, verkleiden sich gerne in Superheldenkostümen und träumen von einem nie enden wollenden Sommer. Doch „manche Menschen müssen für ihren Lebensunterhalt arbeiten oder für eine bessere Welt kämpfen“ und so bleibt Louis am Ende des Sommers ganz alleine in seinem Hotel zurück. Was dazwischen geschieht hängt wesentlich von den anderen Beteiligten ab: einem erfolgreichen Jungfilmer, eine Bäckerin, eine Bassistin. Martin ist verliebt in Annie, aber die will nur die Bäckerin. Aus Plaudereien und gutem Essen entwickeln sich dekadente Sittengemälde, die die junge franko-kanadische Gesellschaft als „lost generation“ porträtiert: verloren in Selbstverwirklichung und Egomanie.
Ein gelungenes Porträt einer Generation, der „jungen Kreativen“, die das Geld hat, es sich zu erlauben, anders zu sein, als die anderen.
Jimmy Beaulieu
Ein philosophisch pornographischer Sommer
broschiert/288 Seiten, farbig
ISBN 9783941239852
Schreiber & Leser
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2012-10-21)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.