Keiner der vier Beatles hatte studiert, schon gar nicht Philosophie. Auch im Blick auf ihre Interviews und die Vielzahl kecker Sprüche von John, Paul, George und Ringo ließ sich nie erkennen, dass auch nur einer der vier im Sinn hatte, in die tiefen eines philosophischen Disputes oder tiefernster Sinnfragen einzutauchen. Am ehesten philosophisch angehaucht, eher aber als esoterische Verwirrung zu werten, sind jene paar Wochen in Fernost, die die Band in bunten Gewändern und vernebelten Augen beim Guru zeigen.
Kann es dennoch sein, dass die Beatles mit ihrer Musik und ihren Texten einer ernsthaften Abgleichung mit fundierten philosophischen Konzepten standhalten und mit Ihrer Poesie und Dichtkunst existentielle Grundfragen der Menschheit aufgenommen, gar für ihre Zeit weiterentwickelt haben?
Das kann durchaus sein.
Wie die Autoren im Buch aufzeigen, sind durchaus innere Verbindungen zu philosophischen Konzepten ableitbar. Die Form der Beatles ist natürlich eine völlig andere als die des wissenschaftlichen Diskurses, die aufgegriffenen Fragen und ebenso die Antworten der Beatles allerdings haben durchaus tiefe Substanz.
Fragen und Antworten, denen sich die Autoren der einzelnen Kapitel und Abschnitte des Buches auf die Spur begeben, eine Spurensuche, die ebenso ernsthaft als Untersuchung angelegt ist wie sie, zum Glück für alle Beatles Liebhaber, in weiten Teilen in Sprache und Stil dem Humor der vier Liverpooler entgegenkommen. Keine Form trockener Abhandlung begegnet mit dem Buch, wohl aber ein sprachlich hervorragend und verständlich umgesetzter Blick auf die Tiefe des Schaffens der Band.
So machen sich 17 Philosophen, Professoren, Musikwissenschaftlicher, Juristen u.a. auf den Weg, die Welt der Beatles Lieder einer ernsthaften, philosophischen Betrachtung zu unterziehen. Warum sie das tun? Nun, die Antwort des Buches zu Beginn lautet ganz einfach: „Warum nicht?“
Bereits die erste Betrachtung „Nothing is real“ verdeutlicht, dass die Band eine innere Entwicklung erlebt hat, die nicht auf die Komplexität ihrer Musik alleine beschränkt blieb. Nach den Anfängen in Liebeslust und Liebesleid begannen die Texte, zentrale Themen der Zeit aufzunehmen und zu bearbeiten. Wunderbar arbeitet David Detmar eines der Grundthemen der Liedtexte heraus: „Wie verhalten sich Wissen und Erkenntnis zueinander“? Welche Bedeutung hat beides in dieser Welt, in der nichts wirklich real scheint?
Ebenso präzise herausgearbeitet die Ambivalenz der Beatles zum Geld. Natürlich genossen die vier ihren Reichtum, dennoch war ihnen klar (und das teilten sie auch mit), dass Liebe und Lebensfreude nicht mit Geld zu bezahlen sind (It´s all too much und All you need is love).
Ein ganz wunderbar gelungenes Kapitel ist die Betrachtung der Weltsicht von George Harrison, die Michael und Joseph Hoffheimer von der Blaupause des Existentialismus her aufschlüsseln und herausarbeiten, in welcher Form George Harrison seinen Gegenentwurf gestaltet, wenn er formuliert, dass alles warten kann, nur die Suche nach Gott nicht.
Erkenntnis und Wirklichkeit, Liebe und Fürsorge, Streben nach Bewusstheit, Nietzsche, Das Spiel mit der Sprache, zentrale philosophischer Themen nimmt das Buch auf und gleicht diese in bester Weise, jederzeit verständlich, oft mit Humor und einer Prise Wehmut gewürzt, mit den Kernbotschaften der Lieder der Beatles ab.
Ein nicht unerheblicher Nebeneffekt des Buches ist es zudem, dass zum einen philosophische Grundlagen nachvollziehbar und informativ noch einmal verdeutlicht werden und zum anderen die eigene Reflektion hoch angeregt wird.
Die Beatles von Philosophen betrachten zu lassen ist wahrlich nicht naheliegend und dennoch ein lohnendes Unterfangen. In Sprache und Stil auf hohem Niveau nachvollziehbar geschrieben und mit wissenschaftlichem Anspruch in die Tiefe gehend bietet das Buch einen geschärften Blick auf die gesellschaftlichen Grundfragen und Strömungen, die die Beatles beeinflusst haben. Ebenso zeigt das Buch auf, wie eng philosophisch eher abstrakte Fragen ihren Niederschlag in der Realität finden und, last but not least, welche intuitive Tiefe das Schaffen der Beatles bis heute noch in sich trägt. Unbedingt empfehlenswert, nicht nur für Fans der Band.
[*] Diese Rezension schrieb: Michael Lehmann-Pape (2010-07-12)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.