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Eva Gesine Baur - Amor in Venedig
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Baur, Eva Gesine:
Amor in Venedig

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(Bücher frei Haus)

Dass die Stadt der Liebenden nicht immer nur Liebe für dieselben bereithält, sondern zumeist dessen käufliches Pendant, davon scheint nicht nur die Autorin selbst den Leser überzeugen zu wollen. Nicht von ungefähr stamme die Bezeichnung „Kurtisane“ nämlich von dem italienischen „cortegiano“ ab, dem vollkommenen Höfling, denn Venedig sei bis ins 18. Jahrhundert hinein vor allem für die Prostitution, also die käufliche Liebe, bekannt gewesen und viel weniger für die romantische Liebe, wie heute in unseren Tagen. Rampani sei eine venezianische Familie gewesen, die viele Freudenhäuser besessen habe, wovon man sich auch heute noch überzeugen könne. Zumindest die „Ponte delle Tette“ (Brücke der Brüste) gibt es noch, wo früher rundherum die Freudenhäuser der Familie Rampani, die Ca` Rampane (Ca`=Casa=Haus), standen und wie man dann bald das ganze Rotlichtviertel um Rialto bezeichnet habe: „carampane“. Im 16. Jahrhundert soll es sogar einen Katalog gegeben haben, der die wichtigsten und schönsten Kurtisanen Venedigs mit ihren Vorzügen beschrieben habe, die Anzahl der verzeichneten Damen, 1.684, lässt auch Rückschlüsse auf die tatsächliche Verbreitung des horizontalen Gewerbes in Venedig zu. Als carampane würden aber auch heute noch die käuflichen Damen bezeichnet werden, wenn sie verblüht sind. Und die Liebe?

Selbst der Bürgermeister von Venedig, Massimo Cacciari, gewinnt der Stadt der Liebe nur wenig Romantik und schon gar keine Harmonie ab. Venedig sei ein Konflikt, „hier passen keine zwei Steine zusammen“. Die Venedig-Euphorie sei vielmehr eine Verblendung, eine „scheußliche, grüne, schlüpfrige Stadt“, nannte sie D.H. Lawrence und als Autor von Lady Chatterley`s Lover, kannte er die Definition dieser Terminologie wohl ganz genau. John Ruskin, der sich als „Kronzeuge der venezianischen Apokalypse“ schon zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts gebärte, beschimpfte die Bewohner Venedigs gar als „träge, ignorant, unfähig, sich Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit auch nur vorzustellen, blasphemisch, mordlüstig, wollüstig, feige“. Die „Hauptstadt des Schreckens“ wird zur „Hauptstadt der Verwandlung“ in Eva Gesine Baurs Vorwort und ganz so wie sich die Verliebten der „Rechtwinkligkeit des Vernünftigen“ widersetzten, würde sich Venedig dem Betrachter entziehen, denn „im Labyrinth der Liebe führt nur eines ans Ziel: sich einzulassen und erkundend zu erleben“, wie sie schreibt. Ihre zentrale Fragestellung lautet: „Kann diese Stadt nur lieben, wer in ihr der Liebe begegnet und liebt dort nur, wer auch die Stadt selbst liebt?“ Liebe und Venedig, die Geschichte eines Mißverständnisses?

Richard Wagner zum Beispiel kam mit seiner Frau Cosima und einem ganzen Tross nach Venedig und belegte gleich 20 Zimmer des heutigen Casinos, des Palastes Vendramin-Calergi, nur um dort der Enthaltsamkeit huldigen zu müssen. Hatte er Jahre zuvor noch sein „Tristan und Isolde“ in Venedig geschrieben, so wurde sein „Parzival“ eine Hommage an die Entsagung, die ihm seine Frau verordnet hatte. Seiner Frau zu Ehren hatte er einmal das Teatro La Fenice für 15 Personen gemietet, nur um ihren Geburtstag dort zu feiern. Zwar hatte sie ihm drei Kinder geschenkt, doch die letzten elf Jahre vor seinem Tode, habe er sie nicht mehr berühren dürfen. Kein Wunder also, dass er einer jungen Engländerin verfiel, da doch für ihn die künstlerische Produktivität mit dem Geschlechtstrieb unmittelbar zusammenhinge, wie er freimütig bekannte. „Vom wirklichen Genusse des Lebens kenn ich gar nichts: für mich ist Genuss des Lebens, der Liebe, nur ein Gegenstand der Einbildungskraft, nicht der Erfahrung. So musste mir das Herz in das Hirn treten und mein Leben nur noch ein künstliches werden“, soll Wagner geschrieben haben, er schon 69 Jahre alt, seine Cosima 45. „In Venedig verschwimmen auch die Wahrheit und die Lüge zu einem Aquarell“, kommentiert Baur und man erfährt auch, dass „die Illusion wirklich ist, weil sie wirkt“. Eine Alliteration, die sich gewaschen hat.(!) Die letzte Frau übrigens, die Wagner liebte, Carrie Pringle, starb ledig. Cosima schnitt sich nach Wagners Tod ihre Haare ab und legte sie in einem Samtsäckchen auf seine Brust. Den eigens aus Wien herangebrachten, befensterten Sarg, geleitete sie, in Trauer gekleidet, nach Bayreuth. Eva Gesine Baur hat sogar ein Bild von Wagners letzter Liebe aufgetrieben, das in vorliegender Publikation reproduziert ist. Vielleicht starb er doch glücklich, wenn „diese“ Liebe unerfüllt blieb, möchte man anmerken...

Ein weiterer Essay beschäftigt sich mit Ernest Hemingways ebenfalls unerfüllter Liebe, Adriana Ivancich. Auch er kam nicht allein nach Venedig und huldigte einer anderen Frau, die er anscheinend nie berührt habe, aber umso heftiger verehrt. „Ich bin müde, leer...ausgehöhlt, und Du fehlst mir“, habe Hemingway ihr, Adriana, in einem seiner Briefe geschrieben, während seine Ehefrau Mary nebenan im Zimmer saß. Baur konstatiert, dass die vielen Fäden, die in Venedig zusammenliefen und sich verknoteten „einem Schwindel erregen“ könne, „doch nur wer sich auf dieses unauflösbare Ineinandergreifen von Geschichten und Gerüchten in Venedig einlässt, versteht es“. Über dreißig Jahre sei Hemingway älter gewesen als Adriana und sie habe ihn zurückgewiesen, weswegen er immer wieder nach Venedig zurückkehrt, um sich vollaufen zu lassen, entweder in der Locanda Cipriani auf Torcello oder in seinem Hotel Gritti am Canal Grande. Im Juli 1961 erschießt sich Hemingway schließlich, im selben Alter wie es sein Vater getan hatte, aber nicht mit einer Pistole, sondern mit einer Schrotflinte, mit der er zuvor Enten in der Lagune gejagt hatte. Und das obwohl er seinen Vater stets als Feigling bezeichnet habe und seinem Sohn versprochen hatte, dasselbe nie zu tun. War es die Angst vor Impotenz? Am Markusplatz soll er gesagt haben „Eines muss man dem Täuberich lassen. Er hat immer Lust zu vögeln.“ Waren es die vielen Gins, Whiskys, Martinis? Oder war es gar die Liebe zu Adriana, die ihn diesen letzten verzweifelten Schritt machen ließ? Schwebt über den Lieben in Venedig gar ein Fluch?

Wenn ja, auch Lord Byron könnte davon betroffen gewesen sein. Im Gegensatz zu Hemingway und Wagner starb er zwar jung, sechsunddreißigjährig im griechischen Befreiungskampf an den Folgen einer Malaria perniciosa, aber auch unglücklich und einer unerfüllten Liebe andächtig. Doch zuvor verliebte er, der so viele Affären mit unzähligen Frauen hatte, sich unsterblich in eine junge Venezianerin mit dem schönen Namen Teresa Ghisella Gamba Contessa Guiccioli. Ihm, der jedem nur erdenklichen Laster gefrönt hatte, erschien sie wie die „Verkörperung der Reinheit“, schreibt Baur und sein Überdruss am Konkubinat habe ihn dazu veranlasst, sich sein Leben neu einzurichten, „aus dem Sumpf seiner venezianischen Affären als Phönix herauszusteigen“, ein Bild das die Autorin übrigens nicht nur einmal verwendet. Doch das einzige was ihm schließlich bleibt, ist die Flucht, denn Teresa ist dem Grafen, ihrem Mann, hörig und das „Laboratorium der Liebesalchemie“ hatte zu schnell seine Magie verloren, wie Baur es so schön sagt. Auch dieser Essay ist bebildert und gibt ein paar Tipps die Byron-Fans auf ihrer nächsten Venedig-Reise unbedingt besuchen sollten.

Weitere Kurzausflüge dieses Reiseführers der ganz anderen Art führen zur Liebe von Musset und George Sand, Casanova und M.M., Thomas Mann und Wladyslaw Moes (der Tadzio aus „Tod in Venedig“, sogar mit Foto!), Vivaldi und Anna Giro, der Duse und D`Annunzio, der Dietrich und Remarque und von Rilke und Adelmina Romanelli. Dass nicht jede Liebe, die in Venedig beginnt unglücklich enden muss, davon kann man sich in den weiteren Essays sicherlich überzeugen, die mit viel Hingabe und Interesse für die Stadt der Liebe von Eva Gesine Baur geschrieben worden sind.

Eva Gesine Baur
Amor in Venedig
Auf den Spuren der Liebenden
Mit 55 S/W Abbildungen

2009
C.H. Beck
ISBN-13: 406582301

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2010-07-05)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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