Henri Cartier-Bresson (1908–2004) ist von der Fundación MAPFRE, Madrid eine Ausstellung von Oktober 2024 – Januar 2025 gewidmet. Der französische Fotograf wird gerne als Pionier des Fotojournalismus, Kunstfotograf und Porträtist des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Sein künstlerischer Ausdruck wurde stilprägend für nachfolgende Generationen von Fotograf:innen.

L'air du temps

Als Mitbegründer der legendären Fotoagentur Magnum könnte man den 1947 geborenen Bresson aber auch als modernen Vertreter der Street Photography bezeichnen. Denn kaum ein anderer vermochte es so gut, "den" Augenblick festzuhalten. Im Gegensatz zur inszenierten Modefotografie war Bressons Werk von einer höchstmöglichen Authentizität geprägt, worauf auch der Titel "Watch! Watch! Watch!" anspielt. Denn wie ein Tierfotograf legte sich auch Bresson auf die Lauer, um den günstigsten Augenblick zu erhaschen. Dadurch entwickelte Bresson alsbald ein untrügliches Gespür für den entscheidenden Augenblick oder die Höhe eines Moments, der "l'air du temps". Henri Cartier-Bresson erfasste spontane Begegnungen und steigerte sie zu zeitlosen Kompositionen. Der Band kann als erste große Retrospektive in Deutschland seit 20 Jahren gesehen werden, der das Schaffen Bressons im Überblick präsentiert. Neben frühen, surrealistisch geprägten Aufnahmen und Filmarbeiten sowie Fotoreportagen oder Porträts bekannter Künstler:innen und Schriftsteller:innen stehen seine späteren Fotografien im Fokus: Menschen im Alltag, bei der Arbeit oder Freizeitvergnügungen.

Fotografie: ein Augenblick für die Ewigkeit

Als Initialzündung für sein späteres Werk gilt eine Fotografie von Martin Munkácsi aus dem Jahre 1930, "Spielende Kinder am Tanganjikasee. Darüber sagte der junge Bresson (als 22-jähriger): "Ich verstand plötzlich, dass die Fotografie die Ewigkeit in einem Augenblick festhalten kann. Es ist das einzige Foto, das mich beeinflusst hat. In diesem Bild steckt eine solche Intensität, eine solche Spontanität, eine solche Lebensfreude, ein solches Wunder, dass es mich heute noch umhaut". Mit dieser Beschreibung umriss der in guten bürgerlichen Verhältnissen geborene Fotograf auch gleichsam sein eigenes fotografisches Programm und Credo. Neben dem "Neuen Sehen" war Bresson auch vom Surrealismus inspiriert, einer Künstlerbewegung seiner Epoche, die sich dem rebellischen Geist verschrieben hatte. "Explosante Fixe", also "rasender Stillstand" war es, was ihn dabei besonders interessierte. Der Zufall oder die Struktur einer Wand mit abblätternder Farbe konnten ganze Königreiche erstehen und zerfallen enlassen, es ging allein darum, den Moment, l'air du temps, auch gebührend einzufangen. Sein Motto dabei: "Auf die Überraschung warten, eine sensible Membran sein".

Bresson, ein politischer Akteur

Abgesehen davon, dass Henri Cartier-Bresson einer der technisch besten Fotografen war, war er aber auch ein politischer Mensch. So schloss er sich nach seiner Flucht aus einem Lager der Deutschen der Résistance an und fotografierte u.a. den Sieg der Alliierten. Aber auch in den Sechzigern wies er durch seine Fotografie auf die Rassentrennung und soziale Diskriminierung in den USA hin. So porträtierte er u.a. auch Malcolm X oder die Black Panther. Zeitzeugen bezeichneten ihn auch als Historiker mit der Kamera, "er ist umfassender als ein Journalist, tiefer als ein Doktrinär. Während er die Welt so aufnimmt, wie die Kamera sie trifft, scheint er in das Herz des Bildes vorzudringen, das er isoliert hat. Hier liegt ein Potenzial für eine echte gesellschaftliche Aussage". Reisereportagen und Porträts werden in vorliegender Publikation ebenso gezeigt, wie Bilder von der Industriearbeit, der Mensch in seiner Freizeit, Rituale der Macht, politische Reportagen, Street Photography, Zeugnisse des Krieges, Kalter Krieg und Schwarz-Weißes Amerika. Das letzte Kapitel widmet sich seinem Netzwerk und wie sein Werk produziert wurde. Eine Produktgeschichte des Decisive Moment inklusive.

Hg. Kathrin Baumstark, Ulrich Pohlmann/Bucerius Kunst Forum
Watch! Watch! Watch! Henri Cartier-Bresson
Beiträge von N. Bair, K. Baumstark, C. Chéroux, U. Pohlmann, D. Willis
2024, 288 Seiten, 240 Abbildungen in Farbe, 22,5 x 28 cm, gebunden
ISBN: 978-3-7774-4347-8
Hirmer Verlag
49,90 € [D] | 51,30 € [A]

[*] Diese Rezension schrieb: Jüurgen Weber (2024-10-07)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.