Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist es in Deutschland schwer geworden über Zigeuner zu sprechen und einen unverstellten, von verschiedenen politischen Korrektheiten freien Blick auf ihre Geschichte, Kultur und Gegenwart zu werfen. Lange Zeit war es verpönt, den Namen Zigeuner überhaupt zu benutzen und nur wenige Eingeweihte wussten über die Unterschiede und auch Kämpfe zwischen den Roma und den Sinti wirklich Bescheid. Romani Rose hat über Jahrzehnte tapfer versucht, einer bundesdeutschen Öffentlichkeit den Opferstatus seines Volkes vorzuhalten, aber solange sie in ihrer Minderheit als geachtete Musiker auftraten und in ihrer großen Mehrheit in Rumänien und Bulgarien und anderen Länder sicher hinter dem Eisernen Vorhang versteckt lebten, war die Welt der Deutschen in Ordnung.
Nun, durch die Aufnahme dieser beiden Länder in die EU (dass das ein großer Fehler war, tut hier nichts zur Sache) haben deutsche Großstädte schon seit langem mit einem Phänomen zu tun, das in den letzten Wochen von der Öffentlichkeit mit der gebotenen Vorsicht, aber ohne die Fesseln einer lange die Debatte verhindernden politischen Korrektheit, diskutiert wird. Die Rede ist von der sogenannten Armutseinwanderung, bei der ganze Dörfer und Sippen von Roma nach Deutschland kommen und hier in sich schnell bildenden Ghettos von der Sozialhilfe, dem Kindergeld und vor allem vom geplanten Betteln leben. Es sind gerade die ärmsten Städte, wie etwa Duisburg, die am meisten betroffen sind. Noch weiß niemand so recht, was zu tun ist, und alle schauen mit Sorge auf den Beginn des Jahres 2014, ab dem die volle Freizügigkeit für die Bürger Rumäniens und Bulgariens beginnt.
Fakt ist: die Zigeuner sind in aller Munde. Es wird viel diskutiert über ihre Kultur, ihr „Wesen“, auch Zigeuner selbst melden sich durchaus kritisch zu dem Phänomen der Armutseinwanderung zu Wort. Dennoch ist in weiten Teilen der Öffentlichkeit die Kenntnis über die Zigeuner erschreckend gering und deshalb auch die Debatte um sie mit den uralten Klischees und Vorurteilen behaftet.
Das vorliegende Buch von Rolf Bauerdick ist auf eine besondere Weise dazu geeignet, hier Abhilfe zu schaffen. Auf über einhundert Reisen in elf Länder, in denen Zigeuner leben, hat er viele persönliche Erfahrungen gemacht, von denen er hier in teils erschütternder, teils faszinierender Weise erzählt.
Er geht den Ursachen der Verelendung der Zigeuner auf den Grund und der daraus resultierenden Zunahme von Konflikten. Seine Erzählungen sind beeindruckend und strahlen eine große Kraft aus. Immer in der Hochachtung vor der Kultur und des Alltags eines ungeliebten und unverstandenen Volkes. Er arbeitet mit allem Respekt heraus, dass es eben nicht immer die Diskriminierungen in ihren jeweiligen Mehrheitsgesellschaften sind, die ihre Probleme generieren, sondern dass sie für ihre Lage auch teilweise selbst verantwortlich sind.
Die öffentlich diskutierte Armutseinwanderung von Zigeunern vor allem in Deutschland kann mit den Informationen dieses Buches besser eingeschätzt und politisch bewältigt werden. Deshalb kann man es allen betroffenen Kommunalpolitikern, aber auch allen am öffentlichen Diskurs dieses Landes beteiligten Bürgern nur ans Herz legen.
Rolf Bauerdick, Zigeuner. Begegnungen mit einem ungeliebten Volk, DVA 2013, ISBN 978-3-421-04544-7
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2013-03-25)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.