Ein seltsam anmutender Paradigmenwechsel in der Ökonomie
Georges Bataille galt schon zu seiner Zeit als ein Affrondeur, weil er gesellschaftlich zentrale Themen aufgriff, die allesamt durch wohl gehütete Tabus zugedeckt waren. Im Jahr 1967 erschien das Werk Die Aufhebung der Ökonomie, zu einer Zeit, als die ökonomischen Theorien von Adam Smith, Max Weber und John Maynard Keynes allesamt durch die Renaissance des Marxismus an die Wand geblasen und in jedem Studiengang Kurse zum Studium des Kapital angeboten wurden. Das Seltsame an Batailles Ansatz war, dass er sich für eine ganz neue, nicht die bürgerlichen Theoreme replizierende Betrachtungsweise entschied und nicht das Ziel verfolgte, die bürgerliche Ökonomie zu retten. Ganz im Gegenteil, ihm ging es um einen Paradigmenwechsel, der alles bisher da gewesene auf den Kopf stellte und eine Neuverteilung des gesellschaftlichen Reichtums zum Ziel hatte.
Auch anders als die ökonomische Theorie von Karl Marx, der wie den bürgerlichen Ansätzen ein Nützlichkeitsbegriff zugrunde lag, der politisch durch die Eigentumsfrage aufgebrochen wurde, brüskierte Bataille die Branche, indem er die These aufstellte, dass der Sinn des Reichtums, egal ob er individuell oder gesellschaftlich geschaffen wurde, dessen vorsätzliche Vergeudung sei. Anhand unzähliger, quer durch die ethnologische und anthropologische Forschung gehender Beispiele arbeitete er durchaus überzeugend heraus, dass die Vernichtung von Reichtum die Machtgeste sei, die alles bestimmt. Nur wer Reichtum exorbitant zu vergeuden in der Lage ist, der hat die politische Macht und kann durch den Gestus selbst erwarten, diese Position noch zu stärken. Das einzige Kalkül, das der Vernichtung von Reichtum zugrunde liegt, ist der Ausbau der Machtposition – und nicht die Revenue des Wohlstandes an sich.
Die Beweisführung selbst ist, obwohl Bataille selbst immer wieder mit dem Begriff der Stringenz operiert, alles andere als stringent. Das Verblüffende ist allerdings, dass die Metaphern, anhand derer er seine These illustriert, tatsächlich eine logische Konsistenz erreichen. Die Frage, inwieweit die Verschwendung von Reichtum und der ihn schaffenden Energie nicht auch einem Zweckbegriff unterliegen, bleibt dagegen offen. Insofern gelingt Bataille die Liquidierung des Zweckbegriffs nur insofern, als dass er nur seine Gültigkeit auf den Wohlstand verliert, weil dieser wiederum an sich nicht das finale Ziel des Wirtschaftens darstellt.
Wie immer, wenn ein radikaler Paradigmenwechsel vorgenommen wird, öffnen sich allerdings Korridore neuer, vorher nicht vertrauter Betrachtungsweisen, die die analytische Befähigung des Lesers erweitern. Und es tauchen Fragen auf, die sehr wohl dazu taugen, die politischen Diskussionen von heute, wenn sie sich zum Beispiel um die Weltfinanzkrise ranken, Tendenzen deutlich machen, die nämlich Georges Bataille Recht geben: Sind die massenweise Vernichtung von Kapital und Gütern nicht doch eine Machtillustration? Und spielt das allgemeine Wohl der Gesellschaft angesichts der Börsenkriege überhaupt noch eine Rolle im Bewusstsein derer, die diese Verschwendungsaktionen von Reichtum verantworten?
[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2010-01-06)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.