Endlich ein Buch, das sich mit der rasanten Entwicklung des Büros in den letzten Jahrzehnten beschäftigt. Vie Menschen, die heute noch in Verwaltungen unterwegs sind, haben in ihrer eigenen Berufsbiographie noch Verhältnisse erlebt, die man sich heute kaum noch vorstellen kann. Erst vor ca. 25 Jahren zogen die ersten Computer in den normalen Verwaltungsalltag ein und mit ihnen vollzog sich nicht nur eine technische, sondern auch eine semantische Revolutionierung dessen, was wir Büroarbeitsplatz nennen.
Christoph Bartmann, seinerseits Germanist, Historiker und Direktor des New Yorker Goethe-Instituts, hat mit Leben im Büro. Die schöne neue Welt der Angestellten ein Buch geschrieben, dessen Tiefgang in hohem Maße beeindruckt und das voller Beobachtungen steckt, die eine Reflexion rechtfertigen. Am stärksten wirken die Passagen über den Wandel des Büros. Max Weber, Freud, Kafka, Foucault und Tony Blair werden unter die Lupe genommen. Sie werden durchleuchtet unter dem Aspekt eines grundlegenden Paradigmenwechsels vom Government, welches eine demokratisch legitimierte Regierung von außen auf die Verwaltung ausmachte, zu den existierenden und erstrebten Formen von Governance, welches eine durch die Bürokraten internalisierte, mentale Identifikation mit dem darstellt, was gute Regierung ausmacht.
Bartmanns Kritik wird besonders harsch, wenn er sich der diesen grundlegenden Paradigmenwechsel vermittelnden Branche der Berater widmet, die jedes Verwaltungshandeln in Management umdeuten und einen Aufwand betreiben, der als so genannte Transaktionskosten in keinerlei Relation zum Nutzen steht. Die Neue Steuerungslehre wie Change-Vorhaben erfahren eine nahezu vernichtende Kritik, weil sie die grundlegenden Werte von Verwaltung außer Kraft setzen und sich mehr mit Prozessen und sich selbst beschäftigen, als mit Resultaten.
Quasi als Appendix erscheinen Abhandlungen über den Burnout als kollektive Krankheit des neuen Managementtypus und die Raumkrise des Neuen Büros, das als Aktionsraum mehr auf Transitstationen wie Flughäfen und in Zügen stattfindet als in der Architektur sozialer Vertrautheit. Bartmanns Schlussfolgerungen sind im Vergleich zu der Brillanz seiner Analysen eher lau, man gewinnt den Eindruck, als sehne er sich nach dem alten Büro zurück, in dem der Stillstand Zeremonienmeister war.
Das ist enttäuschend, schmälert aber nicht die guten Gründe für eine Empfehlung, weil sie das tiefe Unbehagen auch derer treffen, die sich für Änderungen in der Navigation von Verwaltungen aussprechen und dem Umstand Rechnung tragen wollen, dass Verwaltung im Spannungsfeld der Globalisierung einerseits eine Konstante in der Wahrung politischer Werte sein sollten, andererseits aber in der Lage sein müssen, temporäre Arbeitsallianzen mit heterogenen Partnern zum Erfolg zu führen. Wer im Appendix des Auswärtigen Amtes das neue Management erlebt, der kann keinen Eindruck von der Dynamik bekommen, die der Wandel woanders mit sich bringt. Ein sehr gutes Buch, das zum Nachdenken anregt und mit Blick auf die Zukunft eigene Überlegungen unbedingt erfordert.
[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2012-04-30)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.