Julien Azoulay ist ein relativ bekannter und erfolgreicher Schriftsteller romantischer Komödien. Vor einigen Jahren hat er auf dem Friedhof Montmartre am Grab von Heinrich Heine seine Frau Helene kennengelernt. Sie haben geheiratet und einen Sohn namens Arthur bekommen.
Fünf Jahre später stirbt Helene an Krebs und lässt einen am Boden zerstörten Julien zurück. Sie hat vor ihrem Tod in weiser Voraussicht ihrem Mann ein ungewöhnliches Versprechen abgenommen. Er soll ihr nach ihrem Tod dreiunddreißig Briefe schreiben, für jedes ihrer 33 Lebensjahre einen.
Als Julien bei einem Steinmetz den Grabstein für Helenes Grab auf dem Friedhof Montmartre, wo sie begraben werden wollte, in Auftrag gibt, lässt er ein geheimes Fach in den Sockel einer Engelstatue auf dem Grab, die aussieht wie seine Frau, einbauen, in das er die Briefe, die er seiner verstorbenen Frau schreiben wird, einlagern will.
Sein Verleger Jean-Pierre Favre, der nach dem Erfolg von Juliens letztem Buch sehnsüchtig auf eine neues Manuskript von ihm wartet, zeigt für Juliens Situation Verständnis. Der indes macht trotz tiefer Trauer die Erfahrung, dass die ersten Briefe an seine Frau ihn auf eine ganz besondere Weise trösten. Schon an dieser Stelle bewundert man als Leser die Klugheit von Helene, die wusste, dass nur die bewusste Auseinandersetzung mit seiner Situation als junger Witwer und alleinstehender Vater eines kleinen Sohns ihn retten wird.
Helenes langjährige Freundin Catherine, die im gleichen Haus wohnt und manchmal auf Arthur, der tagsüber in einen Kindergarten geht, aufpasst, trauert auch sehr um ihre Freundin. Sie versucht Julien eine Hilfe zu sein und spürt doch schon bald, dass sie mehr für ihn empfindet. Das wird zu einem späteren Zeitpunkt des Buches noch zu erheblichen Verwirrungen führen.
Julien hat vielleicht zwei oder drei Briefe geschrieben, als er eines Tages wieder zusammen mit Arthur am Grab von Helene weilt. Wieder hat er ihr geschrieben von seiner großen Liebe zu ihr, die nun keine Antwort mehr findet, wieder hat er seiner Frau erzählt von seinem Leben, das er nun alleine ohne sie führen muss. Während Julien seinen Brief versteckt, ist Arthur in der näheren Umgebung des Grabes unterwegs und entdeckt eine Frau, die auf einem Baum sitzt.
Diese Frau, die bald vom Baum heruntersteigt, ist Sophie, eine Bildhauerin, die fast jeden Tag auf dem Friedhof ist, wo sie Grabfiguren restauriert. Sophie und Julien kommen ins Gespräch, man spürt gleich, sie sind sich sympathisch. Immer wieder werden sie sich in der nächsten Zeit begegnen, ja mit jedem weiteren Besuch wartet Julien mehr darauf, dass sie erscheint.
Als Julien bald danach wieder einen Brief in das Fach unter der Engelstatue legen will, stellt er völlig überrascht fest, dass sie verschwunden sind. Stattdessen liegt ein Herz aus Stein in dem Fach, das er mit nach Hause nimmt. Und so geht es nun mit jedem weiteren Brief von ihm. Der letzte ist verschwunden und eine neue Botschaft an ihn liegt im Fach. Mal ist es ein Gedicht von Prevert, mal ist es eine Blume, mal sind es Kinokarten für den Film „Orphee“.
Julien folgt den Botschaften, ist manchmal sogar aus lauter schmerzhafter Trauer überzeugt, sie stammten auf irgendwelchen unerklärlichen Wegen von seiner Frau.
Was Julien zu diesem Zeitpunkt nicht ahnt, ist, dass jemand ihn die ganze Zeit beobachtet. Jemand, der seine Briefe liest und den nach wie vor mit seinem Schicksal hadernden Julien mit sanfter Hand in die Welt der Lebenden zurücklenken will. Jemand, der sich in ihn verliebt hat …
Mit viel Herzenswärme und Einfühlungsvermögen für seine am Boden zerstörte Hauptperson begleitet Nicolas Barreau Julien auf seinem Weg zurück ins Leben. Wieder einmal führt er seine Leser nach Paris, dieses Mal nach Montmartre mit seinen stillen Gässchen, seinen Künstlern, Geschäften und dem Blick von Sacre-Coeur.
„Die Liebesbriefe von Montmartre“ ist ein Roman darüber, wie aus etwas unendlich Traurigem etwas Wunderschönes werden kann. Ein Buch darüber, wie das Leben und die Liebe über den Tod siegt. Mögen möglichst viele vom frühen Tod ihres Ehepartners betroffene Menschen diese Erfahrungen machen dürfen.
Nicolas Barreau, Die Liebesbriefe von Montmartre, Thiele Verlag 2018, ISBN 978-3-85179-410-6
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2018-09-06)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.