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Rezensionen


 
Hermann Bang - Ludvigshöhe

Hat man unmittelbar davor den im selben Jahrzehnt geschriebenen Roman Fontanes „Der Stechlin“ gelesen, ist die Umstellung gewaltig. Wo der fast vierzig Jahre ältere Deutsche einen umständlich-weitschweifigen Stil pflegt, liest sich das Buch des Dänen Bang wie ein Filmdrehbuch des mittleren 20. Jahrhunderts. Dabei ist sein Stoff auf den ersten Blick so konventionell wie der eines Romans der Courths-Mahler: Aufopfernde Krankenschwester verschwendet sich an charakterschwachen Tunichtgut, der natürlich am Ende doch die reiche Erbin heiratet.

Aber was macht Bang aus diesem Stoff! Es ist wunderbar: ein vollständiges, wahrhaftiges Panorama der dänischen Gesellschaft seiner Zeit und noch dazu ihre ätzende Kritik. Und wie er das macht: Nicht der Autor spricht, seine Figuren reden, doch nicht langatmig monologisierend wie bei Fontane, sondern wie nervöse Menschen der Moderne. Und sie reden permanent durcheinander und sie nehmen dies und das in Angriff und führen es meist nicht zu Ende. All das immer höchst charakteristisch und sehr knapp, erzählt wie ein atemloser Film: Satz - Schnitt – Action – Schnitt – Satz – Schnitt – Action …

Ida Brandt heißt die Heldin, aufgewachsen auf dem Gut der von Eichbaums in Jütland. Ihr Vater ist dort Gutsverwalter. Es kommen im Sommer Gäste aus Kopenhagen – idyllisches Landleben pur. Die soziale Ordnung erscheint felsenfest gefügt. Dann stirbt der Vater, Ida zieht mit der Mutter in eine Provinzstadt. Die Mutter, eine neurotische, misstrauische Tyrannin, wird Pflegefall und Ida vergeudet mit der Pflege ihre Jugend. Nach dem Tod der Alten geht Ida nach Kopenhagen und wird Krankenschwester. Sie hätte es nicht nötig, genug an Vermögen ist ihr zugefallen.

Ida arbeitet am „Städtischen Krankenhaus“, wie es verschämt genannt wird. Der Leser merkt rasch, dass es die Psychiatrische Klinik ist. Kate, die Rivalin, wird es ihr vom hohen Ross herunter zurufen: „Irrenanstalt“. Wie die Unterbringung und Behandlung vor 120 Jahren aussahen, wie das Personal lebte und arbeitete, es ist detailliert dargestellt – lesenswert.

Ida trifft den jungen Karl von Eichbaum wieder, er hat die Abschlussprüfung an der Uni vermasselt und ist jetzt Bürohengst am Krankenhaus. Hier kommt die dänische Agrarkrise ins Spiel: Eichbaums können das Gut nicht mehr rentabel bewirtschaften, Karl wohnt nach dem Tod des Vaters in der Stadtwohnung der Mutter und macht Schulden. Karl ist ein bisschen die skandinavische Ausgabe von Franz Mahler in Viscontis „Senso“, ein gefühlvoll-zynischer Schurke. Ida – ein typischer Fall von Helfersyndrom - hilft mit allem aus: mit Zuneigung, Geld, körperlicher Liebe und sentimentalen Erinnerungen. Und dann wird Karl doch Kate heiraten, die schwerreiche Tochter des Buttergroßhändlers, der Ludvigshöhe gekauft hat.

Am Schluss wird Ida auf bürgerlich grausame Weise abserviert. Karls Mutter gibt ein Fest, um eine „Gefallene“, eine durchgegangene, dann sitzen gelassene und schließlich heimgeholte „Ehebrecherin“, wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Ida wird dabei ihr Platz zugewiesen – es ist nur der eines brauchbaren dienstbaren Geistes. Die Soirée erinnert stark an die lange, lange Ballszene in Viscontis „Der Leopard“. Wie dort verbindet sich der ruinierte Adel mit dem Geld der Bourgeoisie und alles wird anders und wird wieder so, wie es schon vorher war: eine fest gefügte soziale Ordnung mit oben und unten. Karl ist saniert und Ida hat abgewirtschaftet. Die Brautleute werden später ins prachtvoll erneuerte Gutshaus einziehen wie die Götter bei Richard Wagner in Walhall.

Bangs Kunst erreicht mit den Dialogen auf diesem Fest ihren absoluten Gipfel. Wie da die Phrasen über Religion, Hauswirtschaft, Marinewesen und gesunde Lebensführung durcheinanderschwirren, das hat wahre literarische Größe. Mir fällt nur ein Vergleich aus der Musik ein: der gespenstische letzte Satz aus Berlioz’ „Symphonie fantastique“. In diesem Buch ist wirklich das ganze 19. Jahrhundert und, was das Unheimliche an ihm ist, es ist immer noch modern. Lesen!

[*] Diese Rezension schrieb: Arno Abendschön (2010-11-07)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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