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James Baldwin - Eine andere Welt
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Baldwin, James:
Eine andere Welt

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(Bücher frei Haus)

Baldwins dritter Roman „Another Country“, erstmals erschienen 1962 (deutsch 1965 unter dem Titel „Eine andere Welt“), ist ein groß angelegtes Sittenbild und Gesellschaftspanorama. Er behandelt Strukturen und Probleme der USA um die Mitte des 20. Jahrhunderts und spielt zumeist in New York. Er erzählt zu diesem Zweck – und das ist sein spezieller Kunstgriff - fast ausschließlich von Paarbeziehungen, wie sie sich verändern, scheitern oder als beständig erweisen. Hinter ihrer Dynamik stehen die seinerzeitigen und zum Teil bis heute noch immer ungelösten Fragen um Rasse und Klasse. Dabei erweist sich als Katalysator das destruktive Element, das bei Baldwin von Sexualität untrennbar zu sein scheint.

Der schwarze Jazzmusiker Rufus aus Harlem hat zu Beginn eine verheerende Beziehung zur „armen Weißen“ Leona aus dem Süden schon hinter sich. Zwischen ihnen führte die Frage, warum Schwarz und Weiß sich voneinander angezogen fühlen, nur zu Misstrauen und Feindseligkeit. Rufus quälte Leona so lange, bis sie in einer Anstalt untergebracht werden musste. Er selbst verliert dann jeden Halt und bringt sich um.

Vivaldo, Rufus’ weißer Freund, arbeitet tagsüber in einer Buchhandlung und nachts an einem Roman, der kaum Fortschritte macht. Er gehört zur semiintellektuellen Szene von Greenwich Village und hat eine problematische Beziehung zur etwas älteren Weißen Jane. Aus Janes billiger Exzentrik und Vivaldos mangelnder Reife resultiert zwangsläufig das Scheitern ihrer Verbindung. Vivaldo schließt sich danach Ida, Rufus’ jüngerer Schwester, an, die am Beginn einer Karriere als Nachtclubsängerin steht. Auch hier zeigt sich die damalige Sprengkraft einer gemischtrassigen Beziehung, deren dramatisches Auf und Ab an Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ denken lässt. Am Ende des Buches scheinen Vivaldo und Ida es geschafft zu haben, sie sind gemeinsam gereift, lieben sich unverändert stark.

Das Gegenbeispiel sind Cass und Richard, zwei Weiße unterschiedlicher sozialer Herkunft. Sie entstammt der Oberschicht Neuenglands und hat alles daran gesetzt, aus ihm einen großen Schriftsteller werden zu lassen. Als der äußere Erfolg da ist, stellt sie fest, wie wenig das bedeutet, wie gering Richards Talent tatsächlich ist. Aus Enttäuschung darüber geht sie eine von vornherein zeitlich befristete Beziehung zu dem jungen Schauspieler Eric ein und erschüttert Richards Selbstvertrauen damit tief. Es bleibt fraglich, ob es zur Scheidung kommen wird oder ob man sich schlecht und recht arrangieren wird. (Das Paar hat zwei kleine Söhne.)

Eric, aus der weißen Oberschicht des Südens, war ebenfalls mit Rufus befreundet. Tatsächlich ist er homosexuell. Er hat jahrelang in Frankreich gelebt, ist seitdem dem jungen Franzosen Yves eng verbunden. Mit dessen enthusiastisch erlebter Ankunft in New York endet der Roman.

Baldwin erzählt das alles breit und mit vielen Rückblenden. Zu den Stärken des Werks gehört die Darstellung spezieller Milieus und Situationen, z.B. einer Beerdigung in Harlem oder eines Besuchs einer typischen Village-Kneipe oder von gemeinsamem Haschischkonsum auf einer Dachterrasse oder einer Filmpremiere oder eines Treffens im Museum of Modern Art. Das ist New York um 1955, eine Stadt, an der Eric nach der Rückkehr aus Frankreich fast alles missfällt: „unzugängliche Rohheit seiner Sitten und Gebräuche … Atmosphäre von Gefahr und Schrecken … keinerlei Sinn für die Erfordernisse menschlichen Zusammenlebens … die einsamste, heimlichste aller Städte …“ Allgegenwärtig sind der Griff zur Zigarette und das Herumjagen in Taxis. Während dem Autor die Präsentation des rein Gesellschaftlichen, gerade auch des Geselligen fast immer gelingt, trifft dies auf die Dialoge in den Paarkonflikten und die Sexualakte nicht im gleichen Umfang zu. Die Ehe- und Beziehungsdramen werden in oft langatmigen, allzu literarisch wirkenden Diskussionen abgehandelt. Da geht es manchmal geradezu ontologisch zu … Die Beziehungen entwickeln sich zum Teil sprunghaft und die Konflikte sind nicht immer leicht nachzuvollziehen.

Die Schilderung sexueller Handlungen und der mit ihnen verbundenen Gefühle nimmt viel Raum ein, ohne in jedem Fall zu überzeugen. Wenn Vivaldo mit Ida schläft, dann ist dessen Gestaltung für Baldwin eine erkennbar schwierige und zugleich überaus wichtige Aufgabe, die er als Schriftsteller unbedingt meistern muss. Er tut es verbissen pedantisch und ausführlich bis zur Schwerfälligkeit. Kürzer wird der Sex zwischen Eric und Yves abgehandelt und streift doch die Grenze zum literarischen Kunstgewerbe – und Baldwin überschreitet sie, wenn er Cass und Eric sich lieben lässt: „Wieder küsste er sie und zog die zwei Spangen aus ihrem Haar, so dass es golden über ihn fiel …“ Oder: „Wie das Wasser, das in der Wüste sprudelt, als Moses mit seinem Stab an den Felsen schlug, sprangen ihr die Tränen in die Augen …“

Eine weitere Merkwürdigkeit ist die Tendenz zu allgemein verbreiteter Bisexualität, allerdings nur, soweit es die Männer betrifft. Eric hat mit Rufus geschlafen, er liebt jetzt Yves und hat zwischendurch eine Zeitlang Sex mit Cass und dann auch noch mit Vivaldo … Das Geschlecht des Partners wird denkbar leicht gewechselt, bis sich endlich eine geringe Präferenz für Hetero- oder Homosexualität herausstellt. Das ist Kinsey pur, lebenswahr ist es nicht.

Ohne Zweifel erreicht „Another Country“ nicht ganz die Qualität des kürzeren Vorgängerromans „Giovanni’s Room“. Dass sich die Lektüre dennoch lohnt, erweist sich daran: Vivaldo, Ida, Cass und die anderen bewegen sich für uns wie lebendige Menschen durch das New York ihrer Tage und der Leser folgt ihren Schicksalen auch ein halbes Jahrhundert später zunehmend gespannt. Sie alle sind glaubwürdig auf der Suche nach einer anderen, besseren Welt - um sie, uns ähnlich, zu verfehlen oder im besten Fall nur ein Stück weit zu erreichen.

(Zitate nach der Übersetzung von Hans Wollschläger)

[*] Diese Rezension schrieb: Arno Abendschön (2013-08-26)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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