Rudi Dutschke trug eine Aktentasche. Auf vielen der in der vorliegenden Publikation abgebildeten Fotos von Demonstrationen und öffentlichen Kundgebungen hat er diese Aktentasche dabei. Was trug er mit sich herum, was passierte mit der Aktentasche bei dem Attentat auf Dutschke? Macht ihn das Tragen einer Aktentasche schon zum Bürokraten, zu einem Bürokraten der Revolution? Oder war es vielmehr eine Schultasche? Hatte Dutschke seine Skripten dabei, seine flammenden Reden, seine Apelle?
Rückblick auf 1968
„Die Arbeiter, genauer, die produzierenden Individuen, werden heute vielmehr isoliert und atomisiert; sie sind primär außerhalb des Betriebes politisierbar“, meinte Dutschke auf einem Vortrag in den 70ern, kurz vor seinem Tod 1979, der durch die Spätfolgengen des Attentats von 1968 verursacht wurde. Der Rückblick auf 1968 und seine Generation, die versucht hatte die Arbeiterklasse zu organisieren, fällt nicht unbedingt verbittert, aber doch geläutert aus, hatte doch selbst die massenhafte Mobilisierungswelle der 60er Jahre nichts an den fordistischen Produktionsbedingungen des Spätkapitalismus ändern können. Sehr wohl wurden aber die kulturellen Bedingungen verändert, in denen die Unterdrückung stattfand, denn sicherlich sind heute die brutalsten Autoritätsverhältnisse etwas „gedimmt“ und es herrscht ein versöhnlicherer Ton als unmittelbar nach dem Krieg, einer Zeit in der ehemalige Nazis immer noch das Sagen hatten.
Portrait eines politischen Menschen
„Neuer Vormärz“ ist der Titel des Hauptessays in diesem Band, geschrieben von Helmut Reinicke, einem Sozialforscher und Philosophie-Professor, der auch als Weggefährte Rudi Dutschkes gilt. Reinicke ordnet seinen Genossen in der Aufbruchskultur der 60er Jahre ein und skizziert die gesellschaftspolitische Atmosphäre jener Jahre vor einem internationalen Hintergrund. Texte (u.a. „Utopie und Revolution“ und sein Referat auf dem Seminar des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) in Oberreifenberg aus dem Jahr 1966), zahlreiche Fotos sowie Faksimiles von Mitschriften Dutschkes zeigen ein authentisches Porträt eines der wohl politischsten Menschen der Welt. Dutschkes „kommentierte Bibliographie des revolutionären Sozialismus“, ein Glossar sowie Biografien damaliger Zeitgenossen ergänzen dieses vielseitige illustrierte Geschichtsbuch Rudi Dutschke. Auf zwei beigefügten DVDs finden sich zudem die vier Filme „Aufrecht gehen“, „Dutschke, Rudi, Rebell“, „RD- Sein jüngstes Portrait“ und „Zu Protokoll, Rudi Dutschke“.
In der mehr als 320 Seiten starken Publikation des Laika Verlages werden sicherlich nicht nur die oben eingangs gestellten Fragen, sondern noch viele weitere Fragen über „den großen deutschen Revolutionär“ beantwortet. Zudem sind - wie bei allen Publikationen der Reihe „Bibliothek des Widerstands“ des Laika-Verlages - auch bei Band 12 wieder zwei DVDs angefügt, die das informative Lesevergnügen auch ins audiovisuelle Genießen und Lernen übertragen. Denn über die Geschichte des Widerstands kann man nicht genug wissen, denn wer weiß, ob dieses Wissen nicht schon sehr bald wieder gebraucht wird. Uneingeschränkte Empfehlung!
LAIKA - BIBLIOTHEK DES WIDERSTANDS
Das Buch // Der Film
Band 12:
Rudi Dutschke – Aufrecht Gehen. 1968 und der libertäre Kommunismus
ISBN: 978-3-942281-81-2
320 Seiten
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2013-04-04)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.