Wystan Hugh Auden war einer der wichtigsten Intellektuellen des 20. Jahrhunderts. Die Besonderheit seines zumeist sehr befremdlichen, aber scharfen Blickes resultierte aus der so gar nicht in Klischees passenden Biographie. Auden wurden 1907 in der Grafschaft York in Großbritannien als Sohn eines Arztes und einer Krankenschwester geboren und genoss die klassisch hochkarätige Hochschulausbildung, die eine Brite nur erwerben konnte, mit einem Studium in Oxford. Der früh und zeit seines Lebens bekennende Homosexuelle machte sich mit dieser offensiven Vorgehensweise zum Outcast der besseren Gesellschaft, obwohl er aufgrund seiner Sozialisation und Bildung dazu gehörte. W.H. Auden war im anglophonen Sprachraum als Journalist, Essayist, Librettist für Musikkompositionen und als Poet hoch geachtet, im deutschen Sprachraum fand er nahezu ausschließlich als Lyriker Erwähnung.
In dem kleinen, aber feinen Band W.H. Auden, Poems ed by John Fuller, der knapp 100 Seiten umfasst, hat John Fuller die poetischen Juwele aus dem Gesamtwerk Audens zusammengestellt. Die Auswahl ist insofern nahezu perfekt, weil sie die verschiedenen Schaffensphasen berücksichtigt. Durch chronologisches Vorgehen, das mit dem Gedicht A Watershed aus dem Jahr 1920 beginnt und mit No, Plato, No aus dem Jahre 1973 - Audens Todesjahr - endet, werden nicht nur die unterschiedlichen Schaffensphasen und lyrischen Dukti dokumentiert, sondern auch deutlich gemacht, dass Auden in allen Entwicklungsphasen eine außergewöhnliche Fähigkeit besass, um das Profane in das Medium sprachlicher Ewigkeit zu hieven und das Fundamentale in seinem Stellenwert auf das Profane zu reduzieren.
Audens Poesie war durchdrungen von dem tiefen politischen Empfinden, das ihn auch in den anderen Metiers, in denen er es zur Meisterschaft brachte, entscheidend prägte. Selbstverständlich findet sich in der vorliegenden Sammlung auch Spain 1937, in dem Auden seinen Zorn über das Scheitern der Spanischen Republik und den Sieg des dortigen Faschismus zum Ausdruck bringt. Ohne politisch plakativ zu sein, gelingt es ihm, die Konsequenzen dieses historischen Dramas auf die Lebensverhältnisse der einfachen Leute zu projizieren, ohne die historische Dimension, die sich mit dieser Tragödie für Europa ankündigte, nur einen Moment auszublenden.
Und selbstverständlich findet sich auch der berühmte Funeral Blues aus dem Jahr 1936 in diesem bemerkenswerten Band, welcher durch das Zitat in dem Film Vier Hochzeiten und ein Todesfall noch einmal einer jüngeren Generation zugänglich gemacht wurde. Dieses Bekenntnis zu einer homosexuellen Liebe ist durch die lyrische Qualität und die sprachliche Explosivität wohl eines der schlagendsten Argumente gegen die Intoleranz des Mainstreams im 20. Jahrhundert gewesen und geblieben.
Und natürlich fehlt nicht der Refugee Blues aus dem Jahr 1939, in dem Auden bereits zu einer Zeit auf das Schicksal der Juden in Europa aufmerksam machte, als die Saturierten noch ihren letzten Appeasement-Anfall verdauten. Hier trifft die Genre-Bezeichnung Blues zu wie nie, weil er das Elend genauso anprangert wie er die Wut verspüren lässt.
Und natürlich ist der nie vergessene Achtzeiler unter dem Titel August 1968 noch einmal zu genießen, in dem der nicht müde gewordene Streiter für die Humanität die Aufgabe des Intellektuellen im Kampf gegen das tyrannische Monster beim Namen nennt. Denn, so lautet die Botschaft, wer Macht über die Sprache besitzt und dennoch schweigt, macht sich schuldig an der Tyrannei des Monsters.
Wer schlicht die Poesie dieses großartigen W.H. Auden genießen will, der hat den richtigen Einstieg mit diesem Band gefunden. Er schafft Zugang zu einem wahrhaften Hommes de Lettres!
[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2013-06-15)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.