„Mit einer schwarzen Tinte“, diese Ausgabe des Otto Müller Verlages Salzburg der Gedichte H.C. Artmanns wird von Hans Sedlmayr mit dem folgenden Geleitworten versehen: „In Breitensee hat sich neulich die Wiener Vorstadt mit dem Surrealismus eingelassen und daraus ist – ein Dichter entstanden, ein wirklicher.“ Mit „Breitensee“ ist die Vorstadt gemeint, die auch heute noch Teil des XIV. Wiener Gemeindebezirkes bildet und ebenso wie Baumgarten einen der bedeutendsten Künstler Österreichs hervorgebracht hat. H. C. Artmann ist im Gegensatz zum dieses Jahr besonders gefeierten Baumgartner aber ein Künstler des Wortes, nicht des Pinsels, auch wenn die eingangs angeführte Zeile eines seiner prominentesten Gedichte vielleicht darüber hinwegtäuschen könnte, dass wir es hier mit einem wirklichen Dichter, einem „Heimatdichter der Wienerischen Mundart“ zu tun haben.
Nur kein Schmalz
Die Gedichte Artmanns seien „in ihrer Empfindung oft so einfach wie die ältesten Volkslieder, in der Form oft so kunstvoll wie der modernste vers libre, in der Entsprechung von Sinn und Klang oft so vollkommen wie klassische, in der Fülle überraschendster kühner Bilder so reich wie barocke Dichtung.“ Die für diese Publikation des Salzburger Otto Müller Verlages titelgebende Sequenz stammt übrigens aus einem Gedicht Artmanns mit dem viel- – nur kein Schmalz - versprechenden Titel „nua ka schmoez“. Der deutsche Leser ahnt es schon, es geht hier um die Butter, die Margarine, das Fett, das was die Speise so triefend macht und die Rede so schmalzig: das Schmalz. Diese Ingredienzie der feinen Küche wird allzu oft auch für das Wienerische herangezogen, dass gerne trieft und schmalzt, schmeichelt wenn es es braucht und poltert, wenn es sich Luft macht über die herrschenden Zustände. Doch anders als es der Titel des Gedichtes „nua ka schmoez“ vermuten lässt, ist das eigentlich Schlüsselwort dieser Wiener Reime, nicht das Wort Schmalz, sondern das Kompositum „bruknglanda“, zu Deutsch: das Brückengeländer. Mehr als nur eine Metapher für Weltschmerz steht es wohl eher für Selbstmord, denn was sich auf der anderen Seite des Geländers befindet, ist bekanntlich der Abgrund. Oder der Fluss.
Die Wiener Vorstadt als Geburtsstätte der Tragödie
In einem anderen Vorort von Wien gibt es einen Friedhof. Es ist der Friedhof der Namenlosen, weil es dort, wo er sich befindet so viele Selbstmörder angetrieben hatte, dass die Stadtverwaltung kurzerhand eine Begräbnisstätte errichtete, für alle jene Toten, die keine Ausweispapiere in ihrer letzten Stunde dabei hatten und vielleicht auch von niemandem vermisst wurden. „waun owa r ana r a gedicht schreim wüü/(…)/daun sol a zeascht med sein heazz/(…)/nua recht schnöö noch otagring ausse/oda sunztwo zu an bruknglanda gee“, so der letzte Satz des angesprochenen Gedichtes. Denn wer ein Gedicht schreiben will, der muss selbst einmal an einem solchen Brückengeländer gestanden haben, verzweifelt gewesen sein, oder in wieder einer anderen Vorstadt, Ottakring, gewesen sein, so Artmann. Denn nur dort spielt das wirkliche Leben, nur dort erfährt man wirklich etwas über die Lebenden. In der Wiener Vorstadt. Im Beisl. Auf der anderen Seite des „bruknlandas“ eben.
von otakring nach simaring
Neben dem „Inhoezzfazeichniss“ (Inhaltsverzeichnis) mit den abgedruckten Gedichten, findet man am Ende der Publikation auch einige Worterklärungen des Wienerischen, das man oft laut lesen muss, um es wirklich zu erfassen. „süwadaxe“ etwa könnte man wohl nicht mal verstehen, wenn man es laut aufsagt, denn es bedeutet „Leichwagen“, eigentlich „Silber-Taxi“, die ehemalige Farbe der Bestattungswägen. Das führt einen dann zum „zenträu“, dem Zentralfriedhof in „simaring“, in Simmering. Dann wenn „ee scho oiz gaunz bowil is“, wie man vielleicht noch hinzufügen möchte: dann, wenn eh schon alles egal ist. Aber natürlich ist nicht alles am Wienerischen so morbid, denn allein die Kreativität der schöpferischen Ausdruckskraft beweist doch, wie viel Leben in dieser Stadt und seinen Bewohnern herrscht!
H.C.Artmann
Med ana schwoazzn dintn
gedichta r aus bradnsee
Otto Müller Verlag
ISBN: 3-7013-0227-8
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2012-03-18)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.