„Doch im Griechischen heißt es Tavaturi. Und Tavaturi heißt Lärm.“ Erst antwortete Jacques Riviere, der Herausgeber der „Nouvelle Revue Francaise“ und selbst Schriftsteller, nicht auf die Briefe von Antonin Artaud und die Bitte nach Veröffentlichung seiner Werke. Doch als er ihm endlich zurückschreibt, schickt er ihm eine Abhandlung über das Denken, dem Grenzen gesetzt werden müssten, da es sonst in den Wahnsinn führen würde. „Mir ist bewusst, an sich genommen ist der Geist eine Art Krebsgeschwür; er breitet sich aus, er dringt ständig in alle Richtungen vor; und die Ausgänge des Geistes sind zahlenmäßig unbegrenzt; keine Idee bremst ihn; keine Idee bringt ihm Ermüdung und Befriedigung; selbst jene vorübergehenden Erleichterungen, die sich unsere physischen Funktionen durch Übung verschaffen, sind ihm unbekannt. Der denkende Mensch verausgabt sich gründlich.“ Schon früh erkannte Riviere das ganz persönliche Drama des Antonin Artaud und schloss seinen Brief mit den Worten: „Schicken Sie mir alles was Sie haben!“ Er wusste ganz genau, dass Antonin Artaud seinen Rat niemals beherzigen werden würde, und über jede Grenze des Denkens hinausstoßen und dabei viel Lärm machen wird...
Artaud verlor so bald wie er ihn gefunden hatte den Zugang zur surrealistischen Bewegung, der „Revolution Surrealiste“ der Mannen um Andre Breton. Er war für immer der Außenseiter, selbst unter den Außenseitern. Maurice Blachot sagte über Artaud, dass er sich mit der maßlosen Erfahrung messe „mit festem, grübelndem, brennendem Geist, der aber noch in der Flamme das Licht sucht“. Artaud war selbst ein Brennender, ein Entflammter und für viele stellt er auch heute noch das Licht dar, das selbst in dunkelster Nacht noch leuchtet. Blixa Bargeld, der Sänger der Einstürzenden Neubauten berief sich etwa auf Artaud, der mit einem Schuh in der Hand auf dem Bett einer Irrenanstalt starb. „Ich allein kann beurteilen, was in mir ist“, daran habe Artaud bis zuletzt geglaubt. An der Musik zu vorliegendem Hörspiel hat übrigens auch Alex Hacke mitgearbeitet, seines Zeichens Gitarrist und Bassist der Einstürzenden Neubauten.
„Mein Denken verlässt mich auf allen Stufen : Ich befinde mich in ständiger Verfolgung meines geistigen Seins.“ Antonin Artaud war langsamer als sein eigenes Denken und nahm diese Verfolgung auf, er wollte die Trennung zwischen Werk und Leben abschaffen und ihre mutwillige Zerstörung herbeiführen. „Man muss Schluss machen mit dem Geist wie mit der Literatur. Ich behaupte, dass Geist und Leben auf allen Stufen miteinander in Verbindung stehen.“ Mit diesen Worten war Artaud wohl konsequenter als viele seiner surrealistischen Kollegen, er ging bis zum Äußersten, auch in seiner Beziehung zu Genica Athanasiou: „Wie alle anderen Frauen denkst du auch nur mit deinem Geschlecht“. „Du weißt nichts vom Geist, du weißt nichts von der Krankheit.“ „Wenn du wüsstest an was ich mich ausgeliefert habe, um die Schmerzen einzuschränken und zu unterdrücken, würdest du meine Unausgeglichenheit, meine Reibereien mit dir, die Unbeständigkeit meiner Stimmungen, den Zusammenbruch meines körperlichen Seins, diese Abwesenheiten, diese Zermalmung ertragen.“
„Der Traum ist wahr, alle Träume sind wahr!“ war bei Antonin Artaud nicht nur eine Parole. Er vermochte es „die im Traum erblickten Landschaften“ auch in der Liebe zu manifestieren, dem Tod zu trotzen, der ganz ohne Liebe und alleine ist, und dem Verstand seine humanitäre Maske herunterzureißen. Anais Nin schrieb über ihn: „Von Artaud berührt werden heißt, mit dem Gift vergiftet werden, das ihn zerstört. Seine Hände umschließen meine Träume, denn sie sind wie die seinen. Ich liebe den Dichter, der durch meine Träume geht, seine Qual und das Feuer, das in ihm brennt, nicht den Mann.“
Diese musikalisch-verbale Collage aus den Werken von Antonin Artaud stammt aus den Korrespondenzen mit Jacques Riviere, den Schriften „Der Nabel des Niemandslands“, „Die Nervenwaage“, „Fragmente eines Höllentagebuchs“ sowie „Kunst und Tod“. Weitere Werke finden Sie beim Matthes und Seitz Verlag, z. B. auch die Briefe an Genica Athanasiou, „Das Theater und sein Double“, „Mexiko und die Tarahumaras“ oder „Das Theater der Grausamkeit“. An der Umsetzung vorliegender CD haben weiters mitgearbeitet: Jens Harzer, Bernhard Schütz, Christian Wittmann, Marijam Agischewa und Meike Schlüter (Sprecher); Tony Buch, Alex Hacke und zeiblom (Musiker); Thorsten Weigelt (Ton und Technik).
Antonin Artaud wurde am 4. September 1896 in Marseille geboren und starb am 4. März 1948 in Ivry-sur-Seine. Artaud war nicht nur ein begnadeter französischer Schauspieler, Dramatiker, Regisseur, Zeichner, Reisender und Dichter, sondern auch ein interessanter Theater-Theoretiker. Die meisten seiner Schriften sind beim Matthes & Seitz Verlag auf Deutsch erschienen, darunter auch seine Biographie, die unlängst neu aufgelegt wurde.