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Antonin Artaud - Das Theater und sein Double
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Artaud, Antonin - Das Theater und sein Double bestellen
Artaud, Antonin:
Das Theater und sein
Double

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(Bücher frei Haus)

„Nicht aus Reue weine ich“, sagt Annabella, „sondern aus Angst, nicht ans Ziel meiner Leidenschaft zu gelangen“, zitiert Antonin Artaud John Fords „'Tis Pity She's a Whore “ aus dem Jahre 1633. In seinem ersten Aufsatz „Das Theater und die Pest“ sieht Antonin Artaud, das enfant terrible der französischen Surrealisten, die Entstehung des Theaters am Höhepunkt der ersten schlimmen Pestwelle, die Europa im 17. Jahrhundert heimsuchte. Ein wirkliches Theaterstück würde die Ruhe der Sinne aufstören, schreibt Artaud, setze das komprimierte Unbewusste frei, treibe zu einer virtuellen Revolte, die gerade darum ihren ganzen Preis wert sei, weil sie virtuell bleibe. „Wenn das wesentliche Theater wie die Pest ist, so nicht deshalb, weil es ansteckend wirkt, sondern weil es wie die Pest die Offenbarung, die Herausstellung, das Hervorbrechen einer latenten Tiefenschicht an Grausamkeit bedeutet, durch die sich in einem Einzelwesen oder in einem ganzen Volke alle perversen Möglichkeiten des Geistes lokalisieren.”

Die Pest als Geburtsstunde des Theaters
Das Theater befalle zwar nicht den Körper, dafür aber die Sitten und könne ganze Kollektive umwälzen. Artaud spricht von einem Paroxysmus (griech. παρα [para] – neben, οξυς [oxys] – scharf), der eine Folge von sich steigernden Ausbrüchen beschreibt, also etwa der Paroxysmus eines Vulkans oder der von Krankheitssymptomen. Die Wirkung des Theaters sei wie das der Pest auf die Ebene einer echten Epidemie zu rücken, wenn es zu einem solchen Paroxysmus käme, der sich selbstverständlich erst später in den durch das Spektakel faszinierten Köpfen freisetze. Artaud vergleicht das Theater – oder zumindest seine Vorstellungen des echten Theaters – mit der Pest, da sie mit Vorliebe in jenen Körpergegenden aufzutreten scheint, wo der menschliche Wille, das Bewusstsein, das Denken nah sind und im Begriff, in Erscheinung zu treten: das Hirn und die Lunge.

Alchimistische Transmutationen
„Wenn es unsrem Leben an Schwefel, das heißt an dauerhafter Magie fehlt, so weil wir uns darin gefallen, unsere Handlungen zu besehen und uns in Betrachtungen über die erträumten Formen unserer Handlungen zu besehen und uns in Betrachtungen über die erträumten Formen unserer Handlugen zu verlieren, statt dass wir von ihnen angetrieben werden.“ Antonin Artaud reagiere auf die „Dekadenz der westlichen Gesellschaft“, schreibt Bernd Mattheus in seinem Nachwort, die Epoche würde einer geistigen Wüste gleichen, in der sich alles Sakrale verflüchtigt habe. „Marasmus“ sei die Diagnose Artauds, so Mattheus. Eine alchimistische Transmutation habe sich Artaud von einer Theateraufführung als Minimalforderung erwartet, wenn schon keine „wirkliche Veränderung qua Magie und Ritus“. Es fehle an Humor und Gefahr im zeitgenössischen Theater, denn nur dadurch könne ein poetischer Zustand erreicht werden, der das Versprechen auf Transzendenz für den Zuseher erfüllen könnte.

Therapeutisch-kathartische Effekte
Katharsis nicht Theater mit dem Zeigefinger a là Brecht mit erhobenen Zeigefinger und Moralpredigten, sei das erklärte Ziel Artauds, dem seine Zeitgenossen „intellektuelles Varieté“ vorgeworfen hätten. Für Artaud sei Theater das Äquivalent für das, was in archaischen Gesellschaften Ritus, Kult, Schamanismus, Magie oder Feste waren, bringt es Mattheus treffend auf den Punkt. Beinahe ein Jahrhundert später ist die moderne Gesellschaft allerdings längst beim totalen Spektakel angelangt, man denke nicht nur an Rockkonzerte, Fußball-E und WMs oder Hermann Nitschs Orgien- Mysterien-Spiele. Mattheus stellt aber auch die Frage, ob Artaud nicht genau das verabscheut hätte, dass das Spektakel auf der Bühne zum bloßen Effekt werde, dass die Revolte im Unterhaltungsbetrieb zum Amüsement des universellen Konsumwahnsinns ohne Kultur und Sinn für das Sakrale verkomme. Der therapeutisch-kathartische Effekt und die individuelle Transgression solcher Spektakel soll deswegen aber noch lange nicht in Abrede gestellt werden. Antonin Artaud hatte versucht die antike Tragödie neu zu beleben, er wusste noch nicht, dass seine Ideen zu Aktionismus, Performance und Fluxus führen würden.

Das Theater und sein Double
Artaud Werke 8
Neuauflage 285 Seiten, gebunden
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Bernd Mattheus, aus dem Französischen von Gerd Henniger
ISBN: 978-3-88221-658-5
Preis: 22,00 € / 31,90 CHF

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2012-06-29)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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