Wohl zum allerletzten Mal lässt Friedrich Ani seinen Tabor Süden nach einem vermissten Menschen suchen. Nachdem Neonazis die Detektei von Edith Liebergesell abgefackelt haben ist Tabor Süden nicht nur beschäftigungslos, sondern es ergeht ihm zunehmend so, wie den Menschen denen er in seiner Berufsleben nachgespürt hat. Er wohnt in „leeren Zimmern“.
Edith Liebergesell finden Süden auf dem Bahnhof, wo er offenbar seit Stunden vor der Abfahrtstafel steht und nicht weiß, was er machen soll. Dem Leser vermittelt sich der Eindruck, dass er vorhatte, endgültig zu verschwinden aus dieser Welt, und sich endlich mit denen zu verbinden, die er doch zeitlebens so gut verstehen konnte, dass er sie immer fand.
Edith Liebergesell hat einen Auftrag bekommen und bittet Süden ihr zu helfen. Der ehemals sehr erfolgreiche Kriminalschriftsteller Cornelius Hallig ist verschwunden und der Eigentümer des alten heruntergekommenen Hotels, in der er seit Jahrzehnten wohnt, lässt nach ihm suchen. Sehr überraschend verschiebt Süden sein eigenes Unsichtbarwerden und beginnt nach Cornelius Hallig zu suchen.
In wechselnden Kapiteln erzählt Friedrich Ani, wie Hallig seinen Abgang aus dem Leben vorbereitet und wie Süden auf der anderen Seite sich ihm durch seine Intuition immer weiter annähert.
Als sie dann zusammentreffen, reden und schweigen und vor allen Dingen trinken sie 12 Stunden in einer alten dunklen Stammkneipen von Hallig. Sie verstehen sich.
Doch bald wird Hallig tot sein, Süden wird seine alte Schreibmaschine an sich nehmen und dessen Pistole und sich erneut auf den Weg zum Bahnhof machen.
Friedrich Ani gelingt es wieder, die Zerrissenheit, die Hoffnungslosigkeit, die Düsternis, die in den beiden Einzelgängern wüten, zu beschreiben.
In einer Zeitungsrezension war einmal über Anis Bücher folgender Satz zu lesen: "Wer Anis Geschichten liest, lernt anders denken". Das trifft auch und erst recht auf das neue Buch zu. Aber ich möchte ergänzen: er lernt auch anders mitfühlen und anders über Menschen urteilen, die die Gesellschaft längst abgeschrieben hat, die lebendig tot sind, und schon lange, bevor sie abtauchen, längst in sich selbst verschwunden sind, in "leeren Zimmern" leben.
Reich an intensiver Sprache mit starken und ausdruckskräftigen Bildern nimmt Friedrich Ani seine Leser wieder mit auf eine spannende Reise durch Bereiche unserer Gesellschaft, die er seinen Tabor Süden erkunden lässt wie kaum ein anderer Krimiautor der Gegenwart. Anspruchsvolle Literatur voller Poesie und Kraft von höchster Qualität.
Man darf annehmen, dass Tabor Süden nach diesem Buch nie mehr auftauchen wird, oder doch ?
Friedrich Ani, Der Narr und seine Maschine, Suhrkamp 2018, ISBN 978-3-518-42820-7
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2018-10-30)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.