Als er vierzehn war, vierzig Jahre ist das her, da ist der Ich-Erzähler des neuen unter die Haut gehenden Romans von Friedrich Ani aus seinem bayrischen Heimatdorf Heiligsheim abgehauen. Die Wahl des Ortsnamens ist kein Zufall, sie soll stehen für die Bigotterie eines katholischen Ortes, in dem nicht nur der Priester kleine Junge missbraucht und alle davon wissen und keiner etwas sagt.
Nun kehrt er zurück. Er ist voller Wut und Zorn, aber auch voller Schuldgefühle, die sich in der Rache ein Ventil suchen:
„Nach so vielen Jahren, Kriegen, Niederlagen, Auferstehung und gewöhnlichem Tun war meine Wut zurückgekehrt. Meine treue Begleiterin aus Kindertagen. Unversehrt von allen Gebeten und Gedanken. Erhaben über mein erwachsenes Empfinden. Fernab der Logik eines Lebens, das doch funktionierte und mich sogar mit neuem Namen und Verständnis für die allgemeine Not versorgt hatte. Da war sie wieder. Und ich durfte brennen.“
Ludwig Dragomir ist zurückgekehrt und sucht diejenigen heim, die damals vor 40 Jahren die Jungen mit in den Wald nahmen und sich dort an ihnen vergingen. Ludwig wusste es, und konnte nichts dagegen tun, dass Ferdl und Hanse, Freunde von ihm, dabei umkamen.
Im Ort erkennt ihn niemand wieder. Seit er wieder da ist, sind gleich mehrere ältere Herren verschwunden, manche werden tot irgendwo gefunden. Kommissarin Darko ermittelt und ist von ihrem Gefühl her nahe dran am Täter. Doch man kann Ludwig Dragomir nichts nachweisen, während er weiter in seinem Haus schon seit Wochen einen der Vermissten quält und mit dessen Frau vögelt, ohne allerdings irgendeine Befriedigung dabei zu erfahren.
Die Wut wird übermächtig: „Da stand ich, am Rand der Nacht, zum Morden geboren, zum Sterben bereit und starb nicht und mordete noch lang nicht genug.“ Er ist nackt und sein Schuldgefühl verbrennt ihn von innen.
Die Lektüre dieses Romans von Friedrich Ani, der seinen Erzähler vieles von dem, was damals geschah, in Rückblicken berichten lässt, geht unter die Haut Ani beschreibt in seinem für ihn typischen Stil, wie aus Opfern Täter werden und wie dieser Prozess abläuft, ein Geschehen, das alle Grenzen der Grausamkeit sprengt und dem damaligen Opfer und heutigen Täter dennoch keine Befreiung bringt.
Friedrich Ani ist ein Meister des Noir und stellt das in diesem Roman wieder eindrucksvoll unter Beweis.
Friedrich Ani, Nackter Mann, der brennt, Suhrkamp 2016, ISBN 978-3-518-42542-8
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2016-10-12)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.