Eigentlich wollte der Mann, der mit einem Dutzend engagierter Romane um den Münchner Kommissar Tabor Süden die deutsche Krimilandschaft entscheidend geprägt und um ein ganz eigenes Stilelement bereichert hat, keine Kriminalromane mehr schreiben. Doch Friedrich Ani kann es Gott sei Dank nicht lassen. Für ihn handeln Kriminalromane von Menschen in Not und diesem Bekenntnis trägt er auch in seinem neuen Roman Rechnung. So wie auch in seinen bisherigen Romanen stehen hier nicht der Thrill und die Action oder etwa gnadenlose Spannung im Vordergrund, sondern die Auseinandersetzung mit Menschen und ihrer Vergangenheit, der er mit ihren zum Teil bis in die Kindheit reichenden Wurzeln für die Bewältigung oder Nichtbewältigung der Gegenwart nachspürt. Dies gilt sowohl für die Menschen, die er im Rahmen eines Falles als Täter, Opfer, Zeugen oder Rahmenpersonen auftreten lässt, als auch für die Menschen seines Polizeiteams im Münchner Dezernat 111. Dabei hat er ausnahmslos interessante und sympathische Figuren ausgewählt, die für hoffentlich baldige Fortsetzungen der begonnenen Reihe nur das Beste hoffen lassen.
Hauptfigur Anis ist in der neuen Reihe Polonius Fischer, der mit dem Fall, den er in „Idylle der Hyänen" löst, auf das Härteste mit seiner eigenen Kindheit und den daraus folgenden schwerwiegenden Entscheidungen für sein Leben konfrontiert wird. Polonius Fischer hatte sich in jungen Jahren schon für eine Karriere bei der Polizei entschieden, bevor er den Dienst quittierte und als Mönch in ein Kloster eintrat. Im Verlauf des Buches, in dem eine Frau, die aus wohl ähnlichen Gründen wie Fischer Nonne wurde, ums Leben kommt, wird dem Leser deutlich, was ihn zu diesem Schritt bewegte. Ani deutet aber in einer dichten und höchst ernsthaften Sprache auch das an, was Fischer zum Austritt aus dem Orden und dem Wiedereintritt in den Polizeidienst brachte.
Auch die anderen Polizistenpersönlichkeiten des Dezernats 111 haben ihre Päckchen aus persönlicher Geschichte zu tragen. Vielleicht macht es Ani ja in den -hoffentlich- nächsten Büchern so ähnlich wie sein Kollege Arne Dahl, und lässt uns in jedem Buch eine andere Person des Teams näher kennen lernen.
Polonius Fischer jedenfalls, befreundet mit Ann-Kristin Seliger, einer ehemaligen Journalistin, die ausgestiegen ist aus einem Metier, dessen Heucheleien und Intrigen sie nicht mehr ertragen konnte und nun nachts Taxi fährt, ist ein Kommissar, wie ihn so nur Friedrich Ani erfinden konnte.
Der Schlüssel für die Aufklärung von Verbrechen sind für ihn die Menschen, „Menschen in Not" (Ani), ihr Innerstes mit seiner oft brutalen Geschichte, ihre Beweggründe und Lebenshoffnungen und nicht eine lückenlose Indizienkette.
Fischer hat sich seine Privilegien ausbedungen, als er in den Dienst zurückkehrte, z.B. verhört er in einer kleinen Kammer, die seiner ehemaligen Klosterzelle ähnelt, allein - mit einem Kruzifix an der Wand. Er zitiert lange Bibelstellen, zum Trost für die Opfer und zur Konfrontation für Verdächtige, und er liest seinen Kollegen vor, Texte von enormer Dichte und hohem intellektuellen Anspruch. Einer dieser philosophischen Texte, der von der Koinzidenz von völlig verschiedenen Zeit- und Handlungsebenen spricht, wird Fischer zum Schlüsselerlebnis für die Lösung eines zweifachen Mordes, von denen der eine viel mit dem anderen zu tun hat, aber dennoch kein gemeinsamer Täter zu finden ist.
Friedrich Ani hat einen wunderbaren und anspruchsvollen Krimi geschrieben, der mit Sicherheit unterschiedlich aufgenommen werden und die Geister scheiden wird. Mit seiner Tiefe und seinem immerwährenden Versuch, die Abgründe menschlichen Lebens und gesellschaftlicher Realität zu beschreiben, ohne in platte Formeln abzugleiten, zeugt er von großem Können. Wer Ani liest, muß viel aushalten können an Aporie, Sinnlosigkeit und Hoffnung, er muß sich konfrontieren mit Glauben und Zweifel, Philosophie und Theologie und darf sich aber auch an Menschen freuen, die versuchen gerne und froh zu leben und ihrem Leben einen kleinen, bescheidenen Sinn zu geben.
Ein außerordentliches Buch, das ich nur empfehlen kann.
Friedrich Ani, Idylle der Hyänen, DTV 2007. ISBN 978-3-423-21028-7
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2013-07-04)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.