Dankenswerter Weise werden einige der Bücher des ehemals durchaus breit gelesenen Schriftstellers Stefan Andres nun neu aufgelegt, unter anderem auch dieser autobiographisch angehauchte Roman, eines seiner ehemals meistverkauften Bücher. Eine Erinnerung an Zeiten, die unendlich weit zurück zu liegen schienen, die aber durchaus in der ein oder anderen Form auch heute noch Themen so manchen Aufwachsens sind und in ihren inneren Abläufen zeitlos im Raume stehen.
Stefan Andres selbst, aufgewachsen als Sohn eines Müllers unter acht Geschwistern weiß, wovon er schreibt, wenn er die Geschichte des kleinen Müllersohnes Steff beginnt zu erzählen. Steff wächst zu Anfang des 20. Jahrhunderts in einem kleinen Dorf an der Mosel auf. Ein Knabe, der allerdings bereits früh die Weite in sich spürt und die Lust auf Ferne, der in den Dingen, die er sieht, entdeckt, was über diese hinausweist. Ein erstes Ausbrechen auf Kinderbeinen bestätigt ihn in dieser Suche nach der Ferne, in seinem Erkennen durch genaue Beobachtung, dass die Dinge und Menschen über sich hinausweisen.
Soweit geht diese Sehnsucht, dass ihn lange Zeit die Häuserwände auf der anderen Straßenseite und die dahinter lebenden Menschen kaum interessieren, selbst das Wissen um einen möglichen, gleichaltrigen Spielkameraden direkt Vis a Vis kann ihn nicht wirklich locken. Und dennoch finden Erlebnisse statt. In der Gemeinschaft mit den Geschwistern, im Betrachten der Umgebung, auch in den Kleinigkeiten (im Buch beginnend mit der Betrachtung und genauen Beschreibung des elterlichen Schlafzimmers und der Hand des Vaters, der die Wiege im einschlafen noch bewegt). Betrachtungen der Umgebung, des dörflichen Lebens.
Heimatliteratur ist es, die Andres in dieser genauesten Betrachtung eines geographisch engen Rahmens vorlegt. Ein Eindruck, der sich noch verstärkt durch die weitgehend mundartlich gestalteten Dialoge. In der Regel eine wirkliche Geschmacksache im Verständnis des Lesers, hier jedoch überaus passend, um das Flair, die Enge der dörflichen Welt, die knappe, sich verschleifende Sprache einzufangen und atmosphärisch in den Ablauf einzubauen.
Ereignisse finden statt, die zunächst eher trivial wirken, in dem wenig besondere Erlebnisse ihren Weg in das äußere Leben des Knaben finden. Innen liegt die Kraft des Buches, wunderbar und in Teilen durchaus poetisch durch Stefan Andres dargestellt und bildhaft herausgearbeitet. Die Anlässe sind austauschbar, bis in die heutige Zeit hinein. Der erste Rausch, den es zu verkraften gilt. Die erwähnte Exkursion, dass davon laufen, dem gluckernden Wasser neben dem Hauseingang aus schierer Neugier folgend. Um dann „ausgeschellt“ zu werden. Eine Szene, die das damalige soziale Leben intensiv verdeutlicht. Erste, kindliche Enttäuschungen finden in dieser kleinen Welt ebenso statt, wie der Beginn des „großen“ Lebens mit der Einschulung. Vielfache Erlebnisse, die, jedes für sich, kein sonderliches Interesse auf sich ziehen würden, wenn nicht Andres in und durch diese Erlebnisse hindurch die Divergenz zwischen äußerer Enge und innerer Weite, entstanden und im Buch ständig entstehend durch genaustes Beobachten der Umwelt, benennen würde.
Ein Stil und eine Welt, auf die man sich einlassen muss, die man sich durchaus durch die vordergründigen Erschwernisse wie die ständige Mundart und die auf den ersten Blick eher langweiligen, äußeren Erlebnisse des Jungen erarbeiten muss. Eine Erarbeitung, die zum sprachlichen Genuss allerdings führt und zu eigenen Versuchen der genauen Bobachtung der Dinge, die immer über sich hinausweisen. Ein stilles, unaufgeregtes Buch, dass den Leser auf die Transzendenz der Dinge und der Menschen verweist und damit auch über sich selbst hinaus verweisen will. Nicht einfach im Zugang und für die heutige Zeit teils sperrig in den Dialogen.
[*] Diese Rezension schrieb: Michael Lehmann-Pape (2011-03-15)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.