Roberto Alajmo - Palermo ist eine Zwiebel. Aktualisierte Neuausgabe
Buchinformation
“annacamento” nennt der geborene Palermitaner schon auf den ersten Seiten seines originellen „Reiseführers“ das Verhältnis seiner Inselmitbewohner zu ihrer Insel, Sizilien. Das vom Verb annacarsi abgeleitete Hauptwort will zur gleichen Zeit Annäherung und Entfernung ausdrücken, also einen Zustand der maximalen Bewegung bei gleichzeitigem Minimum der Standortveränderung („il massimo del movimento col minimo di spostamento“). Gelebter Widerspruch? Ja, denn genau das macht die wunderbare Insel am südlichsten Zipfel Europas aus.
Lagnusia und Lebenslust
Verkehrschaos, Mafia und nirgends ist das Meer zu sehen, Stereotype wie sie auch der Autor Roberto Alajmo über seine Heimatstadt kennt. Aber Alajmo konterkariert diese charmant und witzig, sodass man unbedingt sofort nach Palermo will. Der ebenso einfühlende wie eigenwillige Reiseführer spricht den Leser/die Leserin direkt an und verschafft einem ein so authentisches Gefühl von Palermo und Sizilien, dass man sofort glaubt, die Menschen dort zu verstehen und sich mühelos mit ihnen unterhalten zu können. Denn über sich selbst zu lachen ist zweifellos eine der Tugenden, die in Sizilien lange gepflegt worden sei, schreibt Alajmo. Nicht nur Punier, Griechen und Normannen siedelten hier, auch die Araber haben ihr Spuren hinterlassen und Alajmo legt sie alle bloß, denn auch er ist der Faszination der sizilianischen Vergangenheit erlegen. Denn selbst Italiener würden sich mit dem Sizilianischen schwer tun. So etwa die die Insel kennzeichnende „Lagnusìa“: sie ist ein Dialektausdruck, der nicht einfach nur mit Faulheit übersetzt werden könne, sondern vielmehr mit „Gejammer gemischte Faulheit“. Typisch für Landsmänner und Landsfrauen, so Alajmo, aber wohl auch der bleiernen Hitze und den verschiedenen Machthabern geschuldet, die eine Revolte beinahe verunmöglichte. Hier, in Sizilien, würde eben selbst Murphy’s Law Kopf stehen!
Sehnsucht nach Sizilien
Roberto Alajmo erweitert das Vokabular des Sizilienbesuchers bald um viele weitere interessante Wortschöpfungen. „Wer einen Ort verlässt, hat Sehnsucht nach dem Verlassenen. Doch wer bleibt, spürt auch ein Bedauern über das, was er nicht versucht hat. Darin besteht die restanza: in einer Art Sehnsucht nach der Sehnsucht.“, schreibt er und er weiß, dass die die bleiben, sich wiederum spalten in jene, die es bereuen und jene die es weiterhin versuchen, zu gehen. Der Braindrain schadete der Insel natürlich genauso wie die Klischees. Deswegen ist es so wichtig, dass gebildete Leute wie der 1959 in Palermo geborene Romanautor, Redakteur bei der RAI und Theatermacher weiterhin über ihre Heimat schreiben. Als Journalist begleitet er auch die Politik und Kultur Siziliens, besonders in seiner Heimatstadt. Seinen liebevollen Anti-Reiseführer, der erstmals 2005 erschien, wurde nun rundum von ihm überarbeitet, um auch von den Veränderungen der Stadt in den letzten Jahren zu erzählen. Eine lesenswerte Lektüre, die über den Tellerrand blicken lässt. Dort wo das Meer wartet.
Roberto Alajmo
Palermo ist eine Zwiebel
Aktualisierte Neuausgabe
Aus dem Italienischen von Karin Krieger und Moritz Rauchhaus
WAT [838].
2021, 176 Seiten. Broschiert
ISBN 978-3-8031-2838-6
Wagenbach Verlag
9,99 €
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2021-04-14)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.